Ein neues Profil für die US-Außenpolitik gesucht

■ Clinton verliert mit dem Rücktritt des Außenministers den loyalsten Mitarbeiter

Washington (taz) – Am Ende kam er nicht daran vorbei: Warren Christopher, die Personifizierung steifer Würde und Unnahbarkeit, wurde von Bill Clinton als Dank für seine Dienste umarmt. Der Außenminister tätschelte sichtlich irritiert den Rücken seines Präsidenten – gleichzeitig um Abstand bemüht, als gelte es, ein paar rohe Eier in der Jackentasche zu retten.

Mit Christopher, der bis zur Bestimmung seines Nachfolgers im Amt bleiben wird, verliert Clinton eines seiner loyalsten Kabinettmitglieder – und den mobilsten US- Außenminister der US-Geschichte. Über ein Million Kilometer hat der 71jährige in seiner Amtszeit zurückgelegt – darunter 35 Reisen nach Israel und 24 nach Syrien. Einen umfassenden Frieden zwischen Israel und seinen Nachbarn herzustellen stand auf seiner Prioritätenliste ebenso weit oben wie das Bestreben, den Iran zu isolieren.

Eine Vision oder gar Doktrin für die zukünftige US-Außenpolitik hat er nie fomuliert. Seine Loyalität gegenüber Bill Clinton und dessen Tendenz, sich erst im Krisenfall mit sicherheitspolitischen Themen zu befassen, macht ihn nach Ansicht vieler Kritiker jedoch mitverantwortlich für den anfänglich chaotischen Kurs in der Bosnienpolitik.

Christopher ließ aufgrund neuer Gewichtungen in der Außenpolitik, aber auch aufgrund seiner höchst untypischen Abneigung gegen Profilierung und Scheinwerferlicht reichlich Platz für andere Akteure: Der inzwischen verstorbene Handelsminister Ron Brown und Finanzminister Robert Rubin gestalteten die Freihandels- und internationale Finanzpolitik. Die Rußlandpolitik der Clinton-Administration trägt zum größten Teil die Handschrift von Christophers Stellvertreter Strobe Talbott. Das Dayton-Abkommen wäre ohne die unkonventionelle Persönlichkeit des US-Gesandten Richard Holbrooke nie zustande gekommen. Die Verhandlungen über nukleare Abrüstung in der Ukraine und Weißrußland liefen weitgehend unter Federführung von Vizepräsident Al Gore. Im Fall China schließlich scheint bis heute niemand so recht zuständig. Bevor Christopher sich nun ins Privatleben zurückzieht, wird er noch Peking besuchen, um ein Gipfeltreffen vorzubereiten. Die Chinapolitik gründlich zu überdenken dürfte – neben der Zukunft der US-Truppen in Bosnien und der Debatte um den Posten des UN-Generalsekretärs – eine der dringlichsten Aufgaben für den oder die Nachfolgerin sein.

Im Gespräch ist derzeit der ehemalige Mehrheitsführer der Demokraten im Senat, George Mitchell, der als Vermittler im Nordirlandkonflikt tätig ist. Auch Madeleine Albright, UNO-Botschafterin der USA, hat nachhaltig Interesse angemeldet. Nach Zeitungsangaben sind auch der ehemalige demokratische Senator Sam Nunn, ein Verteidigungsexperte, sowie der Republikaner und Präsidentschaftsbewerber aus dem Vorwahlkampf, Richard Lugar, im Gespräch. Auch der Name Colin Powell taucht wieder auf. Allerdings erscheint es unwahrscheinlich, daß Clinton einem potentiellen Kontrahenten Al Gores im Präsidentschaftswahlkampf 2000 eine solche Chance zur Profilierung einräumt. Andrea Böhm