Der Atem des Adagios

■ Der Tänzer Ivan Liska verläßt nach fast zwanzig Jahren die Hamburger Oper

Heute abend steht er bei Dornröschen von Tschaikowsky zum letzten Mal auf der Bühne der Hamburger Oper: Der erste Solist des Balletts, Ivan Liska, verabschiedet sich von dem Ensemble, das er fast zwanzig Jahre lang mit geprägt hat.

Das Hamburger Publikum wird lange an ihn zurückdenken: an den jungen Liebhaber der Kameliendame, der den Atem des Adagios in Chopins zweitem Klavierkonzert in die Welt des Sichtbaren überführte. An den selbstlos gewordenen reifen Mann, der bar jeder Theatralik auf die Zwischenräume seines Lebens zurückblickt. An den strampelnden Peer Gynt, den zerfaserten Anti-Helden Odysseus, an Onegin, Lysander, Kowalski ...

Es ist vor allem die lyrische Qualität, die von Ivan Liska in Erinnerung bleibt. Wie hat er die erworben? „Ich könnte sie dem Volkstanz zuschreiben“, erklärt er sein Talent. Auch die Weite, die sein gedehnter Körper im Raum erzeugen kann, führt er auf den tschechischen Volkstanz seiner Heimat zurück: „Sie tanzen nicht nur für ihre Partnerin, sondern –“, jetzt stockt er vor Begeisterung, dann hebt seine Simme an zu einem Theatralischen „für die ganze Nation!“, worüber er sich sogleich lausbübisch amüsiert.

Der heute 46jährige hat ein bewegtes Leben als Tänzer hinter sich, aber auch als Mensch.

1968, beim Einmarsch der Sowjets in Prag, unterrichtete er gerade als Tanzlehrer in Paris. Warten, bangen, der elterliche Rat zu bleiben. Dann doch die Rückkehr nach Prag, ein Jahr darauf endgültig die Auswanderung. Die Habe eilig verkauft oder versteckt, die Familie – als Touristen verkleidet – ausgereist. Ivan fährt mit dem Prager Nationaltheater zu einem „Gastspiel“ am Bodensee. Freudige Zusammenkunft der ganzen Familie, doch sofort wieder die Trennung, in Düsseldorf winkt ein Engagement bei Erich Walter.

„Ich hatte sehr viel zu lernen“, erinnert der Tänzer sich heute an seine Anfänge in Deutschland. Hier begegnet der junge Tänzer der älteren Ballerina Colleen Scott, die aus Südafrika ausgewandert war. Eine ungewöhnliche Liebesbeziehung beginnt, die bis heute andauert: Liebe und Arbeit ergänzen sich, beide gehen zunächst nach München ans Nationaltheater, 1977 dann zusammen nach Hamburg. Wie haben sie das geschafft, immer gemeinsam vorwärtszukommen? „Die Ballettdirektoren sahen schnell ein, daß wir ein vollwertiges Paar sind“, erklärt Liska. „Es ist nicht so, daß einer den anderen mitschleppt.“ Die Partner tauschten sich über ihre Arbeit aus und teilten das engagierte Ringen um die endgültige Form einer Rolle. Immer wieder standen sie zusammen auf der Bühne, mal als Liebespaar, mal nicht.

Besonders intensiv war die Arbeit für Endstation Sehnsucht: Ivan alias Kowalski und Colleen alias Blanche mußten eine Vergewaltigungsszene darstellen. „Sehr intensiv, und auch voller Frust“, erinnert sich Liska, „es ist eine schreckliche Geschichte.“

An die Arbeit mit anderen Choreographen erinnert Liska sich gern. Hans van Manen: „sehr erfreulich“; Jerome Robbins: „wunderbar“; Großmeister Balanchine: „un-ab-ding-bar“; und nach dieser skandierten Feststellung gerät er plötzlich ins Grübeln. Eine kurze Traurigkeit überfällt ihn: „Ich hab' damals den Mut nicht gehabt, mich in New York vorzustellen.“ Später, als Balanchine seine Balette in Berlin verfilmte, da hätte er noch einmal eine Chance gehabt ... „aber wie das Leben so spielt“, verwirft Liska ebenso plötzlich seine Stimmung und kehrt zu seiner fröhlichen Grundhaltung zurück.

Ab der Spielzeit 1998/99 übernimmt er als Ballettdirektor das von Konstanze Vernon geleitete Ballett des Münchner Nationaltheaters, Colleen Scott ist als Ballettmeisterin schon dort. Bis zu seinem Amtsantritt gehört auch Liska schon dem Team an und betreut die Münchner Produktion von Neumeiers Kameliendame. Und er sucht Choreographen für seine künftige Compagnie. Denn selber will der bescheidene Maestro in spe diese Aufgabe nicht übernehmen: „Ich hab' mir schon mal die Füße verbrannt, als ein Ballettdireketor meinte, er müsse unbedingt choreographieren“, erzählt er, „und ich möchte jetzt nicht aus einer Machtposition heraus das gleiche machen.“

Gabriele Wittmann