Nirgendwo ankommen

■ Akrobatisch, pfiffig, laienhaft: Gitta Barthel brachte beim Bremer Tanzherbst kreative Unordnung in die freie Szene

Der Begriff „Freie Tanzszene“ ist immer gleichbedeutend mit einer ungezählten Vielfalt von Ansätzen und Stilen. Und doch ist es unübersehbar, daß „die Szene“ den von Reinhild Hoffmann, Hans Kresnik oder Susanne Linke auf jeweils eigene Weise vorgelebten Abschied vom traditionellen Ballett mitvollzogen hat.

Das galt auch für Gitta Barthels Choreographie „dazwischen“, die beim Tanzherbst uraufgeführt wurde.

Die bis zum vergangenen Sommer als Tänzerin am Goetheplatz angestellte Gitta Barthel arbeitete in ihrer ersten großen Choreographie mit vier Tänzerinnen, Antje Aguero, Birgit Freitag, Johanna Hegenscheidt und Anne-Katrin Ortmann sowie den Tänzern Martin Fischer und Helge Löschmann. Sechs Namen, sechs TänzerInnen, sechs eigentlich unvereinbar verschiedene Ausbildungsstile und Leistungsniveaus, die unter einen Hut gebracht werden mußten. Doch Gitta Barthel vesuchte gar nicht erst, diesen Ausgangspunkt zu vertuschen, sondern betonte ihn sogar.

Auf der Bühne tummelte sich wildes Toben neben akribisch ausgetüftelten Körperlinien, fand sich tänzerische Gymnasik neben Akrobatik und mimische Laienhaftigkeit direkt neben pfiffig eingesetzer Gestik. Mit intelligentem Witz wob die Choreographin einen roten Faden, und es gelang ihr ein uriger und interessanter Abend voll Spannungen und Tempo.

In den wechselnden, vom wunderbaren Atemstück von Meredith Monk musikalisch unterlegten Konstellationen der Choreographie versuchten es Männer und Frauen miteinander, dann Frauen und Frauen, dann Männer und Männer und schließlich immer wieder alle. Und doch kam die Gruppe nicht zusammen - denn das war das differenziert ausgeleuchtete Thema.

Wenn etwa die eigentlich gleichen Bewegungen der sechs AkteurInnen auch sechsmal unterschiedlich ausfielen, erreichte die Choreographie den Gipfel von teils freiwilliger, teils unfreiwilliger Komik. Im Finale ließ Barthel ganz bewußt noch einmal jede und jeden für sich - freundlich beäugt von den anderen - ein kleines Solo tanzen. Einzig ein großer und ein kleiner Lichtquader und zwei Scheinwerfer spielen jetzt noch eine ordnende Rolle (Lichtregie: Horst Mühlberger).

Endlich ruft einer „Musik!“, und Schumanns akustisch zerstückeltes Klavierkonzert sowie Ausschnitte aus Beethovens Fünfter Sinfonie zeigen, in welchen Welten man sich gerne einrichten würde, wenn man könnte. Statt dessen landen alle nach sehnsuchtsvollen Gesten auf dem Leuchtbrett wie auf einem Meer, auf dem es nur noch einen Balken gibt.

Ute Schalz-Laurenze