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■ Lenkrad-Verleihung: Wir sagen, wie schön es warAirbag, BamS und Täterä

Berlin (taz) – Michael Schumachers Kometenstart am Brandenburger Tor, die 50.000 Quadratmeter große Automobilausstellung vor wenigen Wochen – selbst Dreiradfahrern als „AA“ ein Begriff – und der Neubau von Reifen-Krüger am Goslarer Ufer: Berlin, unter Spaßfahrern eher als Hauptstadt der Stotterbremse verschrien, bekommt langsam als Autostadt Profil.

Damit erfüllt sich der Traum eines Mannes, der selbst als Anwohner des Mauerstreifens den Glauben an die Überholspur nie verlor – bereits 1976 stiftete Axel Springer das „Goldene Lenkrad“ für die besten fahrbaren Neuerscheinungen der Saison. Einmal jährlich gelang es ihm dadurch, die Autoindustriellen auf eine Spritztour in die Stadt an der Avus zu locken.

Zur diesjährigen Verleihung des funkelnden Ersatzteils wurde die Eingangshalle des Zentralorgans der deutschen Volksseele am Axel-Springer-Platz 1 entsprechend umfunktoniert. Plastikstühle vor schwarzer Bühne, Silbersäulen, Spiegelwände, dezente Lichterketten. Ein Ausstattungsteam, das auch eine Steven-Spielberg-Produktion bestreiten könnte, zauberte eine Atmosphäre wie für Bestattungsunternehmer Grieneisens Geisterbahn. Otto, der Normalverbraucher der BamS, war bei der glamourösen Auto-Oscar-Feier nicht zugelassen. Statt seiner verfolgten die berühmten „rund 500 Gäste aus Wirtschaft, Kultur, Politik, Medien und Sport“ das Spektakel.

So geschah's: Nach den Grußadressen von Bild am Sonntag-Chefredakteur Spreng und Verkehrsminister Wissmann etc. – mit volkswirtschaftlichen Säkularbetrachtungen – führte Carmen Nebel moderierend und hüftschwingend durch die Galashow. Sie öffnete wie einstmals Wim die Umschläge, die das Votum der 22 Jurymitglieder enthielt.

In vier Klassen – von klein bis groß – hatten sie im Hohenloher Land, untergebracht in einem Spitzenhotel inklusive Freßtempel, 29 Modelle ausgefahren. Das Gaspedal bedienten unter anderen Goldrosi Mittermaier, Leopold von Bayern, der auf allen Pisten beheimatete Ralleyfahrer Aaltonen, Wetterfrosch Kachelmann, Ex- BamSler und Ex-Regierungssprecher Boehnisch, der unfallerfahrene Formel 1-Pilot Karl Wendlinger, Hans-Joachim Stuck und die Frau von „heute nacht“, Nina Ruge. Unter Fanfarenstößen (für Beschallung sorgte der maniac Service, Köln), begleitet von Lichtorgien, Trockeneisnebeln und pyrotechnischem Apocalypse now wurden die prämierten Karossen auf die Bühnendrehscheibe gefahren, von dort äugten sie ins Publikum. Als Dummy entstieg jeweils ein Jurymitglied dem Ford Ka, Audi A3, VW Passat und Mercedes SLK – Autos mit „wunderschönen Namen“, meinte Frau Nebel. Von der Gurtpflicht befreite Herr Wissmann höchstpersönlich für diesen Abend. Dann wurden den Vorstandsvorsitzenden, also Herrn Piäch und Co., die Trophäen überreicht. Zu diesem Zweck hatte man ein Mobil-Oil- Girl engagiert und zu wechselnder Kostümierung verurteilt. Kaum zu glauben, wie stilsicher ein Mensch in eine Straße mit Grünstreifen, Ampel oder ein Lenkrad mit Rückspiegel verwandelt werden kann. Die Kopfbedeckung bestand aus einer Mütze mit himmelwärts zeigendem Richtungspfeil. Das Ehrenlenkrad ging an Herrn Wiedeking von Porsche als Dank für seine ungebrochene Liebe zum Autostandort Deutschland.

Clown Peter Shub mit imaginären Wau-Wau, eine witzige Motorrad-Pantomimengruppe und die Hamburger Täterä-Band sorgten dafür, daß die Damen und Herren im Parkett etwas zu lachen hatten. Nach dem letzten Fanfarenstoß aus „Independence Day“ verzogen sich die Gäste in die Bierbar in der Chefetage. Die bisher in der Wertung vernachlässigten Brummis transportierten derweil die Kamerageschütze und das Lightshow- Equipment ab. Einige Vorstandsvorsitzenden enteilten mit den Trophäen schwenkend zum eigens aufgebauten Lenkrad-Brunnen vor dem Axel-Springer-Tor. Dort warteten bereits die Chauffeure hinter der Lenksäule, festgezurrt und Airbag-sicher. Stephan Schurr

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