Ungerechtes mit System

■ Theo Waigel will die Arbeitslosen besteuern

Es gibt wenig, was im vielzitierten Wirtschaftsstandort Deutschland wächst. Eine Ausnahme ist die Arbeitslosigkeit. So sind die Steigerungsraten der Arbeitslosenzahlen weitaus verläßlicher als die erhofften Kurssprünge der Telekom-Aktie. Was liegt also näher, als die Empfänger von Arbeitslosengeld zur Steuer zu bitten? Genau dies will Finanzminister Theo Waigel.

Die Idee ist nicht neu: Schon seit langem wird darüber in der Steuerreformkommission debattiert. Nun prescht Waigel vor, weil ihn die blanke Not treibt. Den Haushalt 1997 drückt ein zusätzliches Defizit von drei Milliarden Mark, nach Ansicht der SPD gar von zehn Milliarden Mark; Summen, die Vorboten für ein Finanzdesaster weit größeren Ausmaßes sein könnten. Waigel weiß: Bleibt die Bundesregierung im Amt, wird sie von Jahr zu Jahr von Haushaltsloch zu Haushaltsloch humpeln.

Seine Ankündigung, die Lohnersatzleistungen zu besteuern, soll zunächst nur das Feld für weitere Gedankenspiele öffnen. Denn die Maßnahmen würden ja erst 1999 gelten, also nach der Bundestagswahl. Was bis heute – noch – als Ungerechtigkeit empfunden wird, wäre bis dahin dann gesellschaftlich akzeptiert.

Waigels Argument, die Besteuerung des Arbeitslosengeldes sei „steuersystematisch vernünftig“, ist der blanke Hohn. Mag sein, daß ein Gutverdienender, der einige Monate von Arbeitslosengeld lebt und dann schnell wieder eine Beschäftigung findet, die Steuerlast problemlos zahlen kann. Das aber dürfte die Ausnahme sein. In Wahrheit bemäntelt Waigels Ankündigung notdürftig, was mancher als plakatives Schimpf- und Schlagwort schon nicht mehr hören mag: Das Sparen geht auf Kosten der Ärmeren. Die Besteuerung des Arbeitslosen-, Kranken- oder Altersübergangsgeldes trifft die unteren Einkommen. Wer wenig hat, soll viel geben. In diesem Sinne ist Waigels Begründung, die Maßnahmen seien „steuersystematisch vernünftig“ hintersinnig.

Nicht um eine neue Ordnung im Abgabensystem geht es, sondern schlicht um eine neue Organisation des bisherigen Sozialstaatsprinzips. Wer arbeitslos wird, soll sich künftig nicht mehr allein auf das Solidarprinzip verlassen können, sondern durch Steuern auch noch bestraft werden. Severin Weiland