Waigels Räuber kommen bei Nacht

■ Der Bundesfinanzminister will künftig Arbeitslosengeld, Krankengeld, Nachtarbeitszuschläge und Sonntagszuschläge besteuern. SPD-Finanzpolitiker Poß im taz-Interview: Den Vorschlag akzeptieren wir nicht

Berlin/München (taz/rtr/dpa) – Beim Versuch, künftige Haushaltslöcher zu stopfen, dreht Finanzminister Theo Waigel immer neue Pirouetten. Auf einem Steuerkongreß der CSU in München schlug er am Wochenende vor, die sogenannten Lohnersatzleistungen ab 1999 zu besteuern. Bisher werden Arbeitslosen-, Kranken-, Erziehungs-, Altersübergangsgeld und andere Leistungen zwar zur Berechnung der Jahressteuersätze herangezogen, müssen aber selbst nicht versteuert werden.

Die neuen Abgaben könnten laut Waigel im Rahmen der für 1999 vorgesehenen Großen Steuerreform erfolgen. Waigel verteidigte den Vorschlag mit dem Hinweis, daß diese Maßnahmen „steuersystematisch vernünftig“ seien. Angesichts der Grund- und Kinderfreibeträge und anderer Leistungen blieben die Lohnersatzleistungen zudem „größtenteils“ auch künftig steuerfrei. Der CSU-Finanzminister schloß sich auf der Münchener Tagung auch Überlegungen der Steuerreformkommission an, die Zuschläge für Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeit zu besteuern. Zugleich wiederholte er seine frühere Forderung, den Spitzensteuersatz auf 35 Prozent und den Eingangssteuersatz auf rund 20 Prozent zu senken.

Waigels Vorstellungen für eine Abgabe bei Arbeitslosen- und Krankengeldern stoßen bei der SPD auf Ablehnung. „Das können wir keinesfalls akzeptieren“, erklärte gestern der Finanzsprecher der SPD-Fraktion, Joachim Poß, gegenüber der taz. Daß Waigel ausgerechnet bei den Empfängern von Arbeitslosen- und Krankengeld herangehe, um den Spitzensteuersatz massiv zu senken, zeige deutlich die Richtung an, „in die es gehen soll“. Poß warf Waigel zudem vor, mit falschen Zahlen zu hantieren. Statt eines Drei-Milliarden-Lochs fehlten nächstes Jahr rund zehn Milliarden Mark im Haushalt.

Ins selbe Horn stieß der bündnisgrüne Finanzpolitiker Oswald Metzger. Waigel gehe mit einem Bundeszuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit von nur vier Milliarden Mark „äußerst halbherzig“ vor. „Das ist unverantwortlich.“ Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Bernhard Jagoda, habe jetzt den Parlamentariern die erwartete Zahl der Arbeitslosen für 1997 mit rund 3,97 Millionen angegeben. Bei nur 30.000 weniger Erwerbslosen als in diesem Jahr sei es „grob fahrlässig“, den zunächst für 1997 auf Null gefahrenen Bonner Zuschuß nur mit 4 Milliarden in den Haushalt einzustellen, obwohl Jagoda bereits bis 9,5 Milliarden Mark als Zuschußbedarf genannt habe.

Vor dem Spitzentreffen der Bonner Koalitionäre gestern abend zeichnete sich keine Annäherung zwischen Union und FDP im Streit um die Zukunft des Solidaritätszuschlages ab. FDP-Fraktionschef Hermann Otto Solms bekräftigte, die Sonderabgabe müsse ab 1998 um zwei Prozentpunkte gesenkt werden. Die Koalition aus Union und FDP hatte am vergangenen Dienstag offenbar vor einem Bruch gestanden. Mehrere Zeitungen berichteten am Wochenende, Bundeskanzler Helmut Kohl habe der FDP mit dem Gang zum Bundespräsidenten, also dem Rücktritt, gedroht. sev

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