Inspektion der Fensterwelt

■ Ingvar Ambjørnsen liest aus seinem neuen Roman „Ententanz“

Trinkfeste Wollpulloverfreaks, nahezu mittellose Schriftsteller oder Detektivpärchen sind bis vor kurzem die Helden gewesen, die sich in nunmehr über 20 Büchern Ingvar Ambjørnsens tummeln. Meist sind Oslo oder Hamburg Schauplatz der mitreißenden Handlung. Zwischen abgewetzten Sofas und blanken Dielen gerät bei einem LSD-Trip schon mal der Boden ins Wanken. Was die Ambjørnsenschen Helden jedoch allesamt hassen, ist Oberflächlichkeit und Dummheit. Ressentiments liegen damit locker auf der Zunge. Aber da der Autor Humor hat, schmeckt man nie bitteren 68er Belag heraus.

Seit 1985 lebt und schreibt Ambjørnsen in Hamburg. Seine letzten beiden Bücher unterscheiden sich etwas von den vorherigen. Zum einen ist das Textpersonal „cleaner“ geworden, zum anderen hat die haarsträubende Handlung nun für den Leser an kraftstrotzender Allgegenwärtigkeit verloren. Auf innere Anteilnahme am Geschehen braucht der Leser aber dennoch nicht zu verzichten.

In Ausblick auf das Paradies blickt der 30jährige Elling mit dem Fernrohr aus seinem „Kinderzimmer“. Inmitten einer Plattenbausiedlung Oslos wird die große weite Fensterwelt gegenüber inspiziert. Als seine Mutter stirbt, entzieht ihm das Sozialamt das Wohnrecht. Im Folgeroman Ententanz erwacht Elling in einem „Erholungsheim“ für psychisch Gestörte. Nach einer zu hektischen Lebensphase hat er sich diesen Aufenthalt verdient, denkt der Ich-Erzähler.

Auch wenn der Leser das Spleenige dieses im Grunde ersthaften Menschen durchschaut, wird er mehr und mehr zum mitfühlenden Schicksalsgefährten. Nicht ohne Stolz bringt Elling seine Geschichte zu Papier.

Im Heim ist es eine robuste, aber warmfühlende Sozialarbeiterin, die es ihm angetan hat: „Wenn ich Vater ihrer Kinder bin, werde ich vielleicht auch Vater meiner selbst“, denkt Elling auf seine verquere, aber doch erfrischend wache Art. Zweimal in seinem Leben kriegt er das Dümmste überhaupt zu Gesicht: den Ententanz. Leute stellen sich in Reihen auf und wackeln mit Armen und Beinen. Bei diesem Anblick rastet er völlig aus.

Ambjørnsen führt uns in die wahnhaften Gedankenwege seines Helden flott und unverkrampft ein, dabei ist er dem Erzählstil eines Jugendbuchs recht nahe. Ein solcher macht bei diesem Helden aber Sinn. Denn der interessiert-aufmerkende Argwohn des Ich-Erzählers bewirkt, daß Selbstverständliches wie zum erstenmal ins Gesichtsfeld rückt. Damit begegnet der Leser so manch unerfreulicher Empfindung vergangener Tage, und Kindheit und Erwachsenenwelt rücken näher zusammen. Stefan Pröhl

Lesung am 13. November, 20 Uhr, Literaturhaus