Musikalische Morgendämmerung

■ GMD Günter Neuhold zeigte beim dritten philharmonischen Konzert programmatisches Profil und gelungene Umsetzung

Unter der Leitung des Generalmusikdirektors Günter Neuhold hat die Philharmonische Gesellschaft die Gestaltung ihrer Abonnementskonzerte weiter verändert. Immer deutlicher wird der musikalischen Allerweltsmischung unter dem Motto „Klassik, Romantik und eine mehrere Jahrzehnte alte Moderne“, die nicht weh tut, eine Absage erteilt. Statt der sogenannten „Kulinarik“ wird nach Wegen gesucht, ein programmatisches Profil mit dem musikalischen Hörgenuß zu vereinen.

Als Musterbeispiel für eine konzeptionelle Schlüssigkeit entpuppte sich am Montag das dritte philharmonische Abonnementskonzert. Mit drei Werken aus Rußland - Modest Mussorgskis unvollendet gebliebener Oper „Chowantschina“ von 1872, Serge Prokofieffs Fünfter Sinfonie von 1944 sowie Sofia Gubaidulianas vor drei Jahren komponiertem Cellokonzert „Und: Das Fest ist in vollem Gang“ - bewies Neuhold, wie sich der Musikgenuß durch bewußte Kontraste und Beziehungen in der Programmauswahl erhöhen kann. Einzig die traditionelle Folge „Ouvertüre, Solokonzert, Sinfonie“ wurde beibehalten, aber dies aufschlußreich und im Dienst einer übergreifenden Aussage.

Wie viel Ästhetik mit Politik zu tun hat, war allenthalben zu hören. Mussorgski beschreibt in seinem Vorspiel zum musikalischen Volksdrama die „Morgendämmerung über Moskau“: neben Klangfarben verwendet er authentischen Volks- und Kirchenmusikton, der Komponist wollte die „vom Leben gespeiste Melodie“. Zwar könnte man sich für die Interpretation noch mehr „Fahles“ wirklich im Sinne von Farbe und Homogentität vorstellen, doch wirkte die Wiedergabe überzeugend.

Gegen das patriarchale Bollwerk von Komponisten und Musikveranstaltern hilft vor allem die kompositorische Qualität, wie sie in fast jedem Stück der 1931 geborenen und seit 1992 in Hamburg lebenden Tartarin Sofia Gubaidulina zu hören ist. Der Cellist David Geringas hat sich schon mehrfach höchst erfolgreich für das Werk Gubaidulinas eingesetzt. Hier gelang ihm zusammen mit dem aufmerksamen philharmonischen Orchester eine hochsensible, reich schattierte und schattierende Klangstudie, die immer mehr archaisch als raffiniert künstlich wirkt, die mehr die Quellen sucht als Neues entdeckt. Musikalisch einer Dialektik von Tradition und neuen Kompositionstechniken verpflichtet, bezieht das Stück sich inhaltlich-politisch auf ein Gedicht von Gennadij Ajgi, das 1968 anläßlich des sowjetischen Einmarsches in Prag entstanden ist.

Serge Prokofieffs Fünfte Sinfonie ist ein Werk, das den von Stalin geschaffenen Kulturdoktrinen nach Verständlichkeit und Patriotismus durchaus gehorcht. Indem Neuhold allerdings Klangfarben grellstens schärfte, Rhythmen unerbittlich durchpeitschte, lyrische Klangfarben ins Irreale sich verlieren ließ, gelang ihm – besonders mit dem Schluß des ersten Satzes – die Mitteilung einer Katastrophe. Das Stück hat im vierten Satz durchaus Längen, die Neuhold mit hoher Spannung und wie immer überzeugenden dramaturgischen Dispositionen nahezu vergessen machte. Mehr als herzlicher Beifall.

Ute Schalz-Laurenze