Bleiberecht bei Kleindelikten

■ Berlin schließt sich nach langem Zögern der Linie des Bundesinnenminsters an: Ex-DDR-Vertragsarbeiter werden trotz geringer Vergehen nicht ausgewiesen

Ehemalige VertragsarbeiterInnen aus Vietnam, Angola und Mosambik, die vor Einführung der Bleiberechtsregelung von 1993 Bagatellstrafen begangen haben und zu maximal 50 Tagessätzen verurteilt worden sind, können nun auch in Berlin ein Bleiberecht erhalten. Eine entsprechende Weisung der Innenverwaltung ist jetzt an die Ausländerbehörde ergangen. Von dieser neuen Regelung profitieren ehemalige VertragsarbeiterInnen, die seit Mitte 1993 straffrei sind, über ausreichend Wohnraum verfügen und bis 31. März 1997 einen Job finden. Bei Ehepartnern genügt es, wenn ein Partner Arbeit hat, soweit das Einkommen für die Familie reicht.

Durchgesetzt bei Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) hat diese Regelung der SPD-Abgeordnete Eckhardt Barthel. Anfang September hatte Innenminister Manfred Kanther auf Druck einiger Ostländer den Ländern genehmigt, diesen ehemaligen Vertragsarbeitern eine Aufenthaltsbefugnis zu gewähren und Ausweisungen zurückzunehmen. Berlin und Sachsen hatten sich bislang geweigert, von diesem Recht Gebrauch zu machen, weil – so Innenstaatssekretär Kuno Böse – davon ein falsches Signal an die vietnamesische Zigarettenmafia ausgehen würde.

„Ein notwendiges Verhandlungsergebnis, auf das viele Betroffene lange gewartet haben“, nennt Magnar Hirschberger von der Reistrommel e.V. die Regelung. Pater Bernd Günther, Leiter des Flüchtlingsdienst des katholischen Jesuitenordens, hatte in der letzten Woche alle Fraktionen des Abgeordnetenhauses und des sächsischen Landtags aufgefordert, auf die Trennung vietnamesischer Familien durch Abschiebung zu verzichten. Günther verwies auf die verzweifelte Situation weitgehend integrierter vietnamesischer Familien mit in der Regel zwei kleinen Kindern, bei denen ein Elternteil wegen weit zurückliegender Straftaten von Abschiebung bedroht ist. Dies gefährde auch das Bleiberecht des unbescholtenen Ehepartners, weil es einer allein oft nicht schaffe, den Lebensunterhalt zu verdienen und die Kinder zu versorgen.

„Ein Auseinanderreißen von Familien heute wegen des damals begangenen verhältnismäßig geringen Delikts widerspricht der Verfassungsgarantie von Ehe und Familie und auch der Verhältnismäßigkeit.“ Nach Auffassung des Jesuitenpaters könnte man „rechtlich gesehen“ aber auch in anderen Fällen von Familientrennung, „die über einer Bagatellgrenze von 50 Tagessätzen liegen, viel angemessener verfahren, zum Beispiel, indem man die Ausweisung nach fünf Jahren positiver Erfahrung zurücknimmt.“ Er verwies darauf, daß die Bleiberechtsregelung von 1993 es Betroffenen ermöglicht habe, sich von kriminellen Verhaltensweisen zu lösen. Ihnen wurde endlich eine legale Perspektive in Deutschland ermöglicht.

Im Unterschied zu den Jesuitenpatres hatten die Berliner Oppositionsparteien in den letzten Wochen nur gefordert, die Kanther- Regelung auch in Berlin durchzusetzen. „Wie weit sind wir eigentlich schon heruntergekommen“, hatte der Bündnisgrüne Wolfgang Wieland im Oktober gefragt, „daß wir fordern müssen, eine Ermächtigung von Herrn Kanther mit einem von Kanther vorgeschlagenen Stichtag und einer von Kanther vorgeschlagenen Höchstgrenze durchzusetzen?“ Marina Mai