Blaues Blut, schwarzes Elend

Großbritanniens Oberhaus debattiert Krieg und Flüchtlingselend im fernen Ostzaire: „Wir haben den Ruf, das Recht in Kolonialgebiete zu tragen. Laßt uns diese Rolle wieder annehmen.“  ■ Aus London Dominic Johnson

Im britischen Oberhaus ist alles etwas grandioser. Abkömmlinge jahrhundertalter Adelsgeschlechter sitzen neben verdienten Persönlichkeiten, die ihre Titel so bekommen, wie man in Deutschland das Bundesverdienstkreuz erhält. Hinten im hohen Hauses prangt der goldene Thron, auf dem einmal im Jahr die Queen sitzt, wenn sie das Parlament eröffnet. Und bei den Debatten im Oberhaus, das weniger eine legislative als eine dekorative Funktion hat, geht es weniger um Parteipolitik als um den Austausch würdiger Worte.

An diesem Abend ist Zaire dran, weil die dafür zuständige Entwicklungshilfeministerin Lynda Chalker seit 1992 eine Baronin ist und daher dem Oberhaus angehört. Ihr Labour-Gegenüber Lord Judd hat schriftlich angefragt, „welche humanitäre Hilfe die Regierung Ihrer Majestät für die Region der Großen Seen Afrikas mobilisiert hat, nach der dortigen Verschlechterung der sozialen und politischen Lage“. Etwa zwanzig noble Damen und Herren sitzen auf den roten Bänken, um die Antwort zu erfahren. Einer – ein Konservativer – schläft.

Labour-Lord Judd will die Lords und Ladies aufwecken. Es gehe bei dem Leiden der ruandischen Hutu-Flüchtlinge in Zaire um „potentiell eine der schlimmsten menschlichen Katastrophen in der Weltgeschichte“, ruft er in seiner Eröffnungsrede und verlangt „resolutes Handeln“. Der Konservative schläft weiter. Judd läßt nicht locker. Von einem „blutigen Durcheinander“ spricht er, von „Versagen“, „Sofortplänen“ und „langfristigen Lehren“. Er will etwas tun, und zwar ganz schnell.

Doch die britische Regierung hat sich längst festgelegt, sich nicht festzulegen. Sie mißtraut dem Säbelrasseln aus Frankreich, dessen Regierung am liebsten eine Streitmacht des Typs Somalia nach Zentralafrika schicken will. Hat nicht der konservative Pariser Figaro eben geschrieben, die ruandischen Hutu in Zaire – zu denen die meisten Täter des ruandischen Völkermordes von 1994 gehören – seien die letzte Bastion vor dem Sturz Mobutus und dem Zerfall des Landes? London, so meinte Außenminister Malcolm Rifkind am Wochenende, schließe zwar eine Truppenentsendung nicht aus, wolle aber nicht ziellos einmarschieren. Doch die britische Labour-Opposition verlangt dennoch ein militärisches Eingreifen.

„Ich habe den Großteil meines Lebens in Südafrika gelebt“, meint der große, blonde, braungebrannte, parteilose Lord St. John of Bletso und behauptet: „Mein Gefühl ist fast das eines Afrikaners.“ Und er zitiert daraufhin Ernest Hemingway, der den Kivusee in Zaire einst für eines der schönsten Gewässer der Welt hielt. Nun lägen da leider lauter Leichen drin. „Wer, wenn überhaupt, hat für dieses Problem eine Lösung?“

Die Opposition aus Labour und den Liberalen glaubt eine zu haben. Lord Judd, immerhin höchstrangiger Labour-Oberhaussprecher zum Thema, vergleicht den Zaire-Konflikt mit der Golfkrise – als seien die Tutsi die Brüder Saddam Husseins und das bedrohte ruandische Hutu-Land in Zaire ein zweites Kuwait. Der Liberale Lord Avebury, geachteter Vorsitzender der interfraktionellen Menschenrechtsgruppe im britischen Parlament, plädiert im Sinne der Völkermörder Afrikas für ethnisch reine Hutu- und Tutsi-Staaten, „damit der Alptraum des Megatodes sich nicht alle zehn Jahre wiederholt“. Lord Rea, im Hauptberuf Arzt und neben Judd einer der Labour-Sprecher für Entwicklungspolitik, hat eine Erleuchtung: „Wir haben den Ruf, das Recht in Kolonialgebiete zu tragen. Laßt uns zurückgehen und diese Rolle wieder annehmen!“

Und die konservative Baronin Park of Monmouth, zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit Zaires britische Konsulin in der Hauptstadt, erinnert sich an ein ähnlich geartetes Ansinnen von drei damaligen Ministern Zaires, die das einstige Belgisch-Kongo zur britischen Kolonie machen wollten. Im Gegensatz zu Lord Rea findet sie das lächerlich. Eine Intervention wäre hoffnungslos: „Es wird keinen Verhandlungspartner geben, der etwas für länger als für ein paar Stunden garantieren kann.“ Lord Waverley, parteilos, fürchtet, daß eine Militärintervention nur „den Extremisten beider Seiten“ nutzen würde. Das Ausland solle aber die Hutu-Flüchtlinge aus dem Würgegriff der Hutu-Milizen befreien.

Dieser Vorschlag kommt an. Selbst Baronin Chalker, die als Ministerin für Entwicklungshilfe in der Abschlußrede die „tiefe Sorge“ der Regierung ausdrücken darf, ist dafür. Und sie verspricht Lord Judd, daß Planungen für ein militärisches Eingreifen im Gange seien. Also doch britische Truppen nach Zaire? Chalker nennt zwei „dringende Notwendigkeiten“: Erstens die Trennung von Hutu- Milizen und Hutu-Flüchtlingen. Dann der Transport von Hilfsgütern zu den Flüchtlingen. Ein britischer „Beitrag“ zu all dem, sagt sie, sei „nicht ausgeschlossen“.

Da darf sich Lord Attlee freuen, Vorsitzender des britischen Schwerlastwagenverbandes und nach eigenem Bekunden Lieferant der ruandischen Armee. Naturgemäß fand er die Frage des Transportes – sowohl von Hilfsgütern wie auch von rückkehrenden Flüchtlingen – in seiner Rede besonders wichtig. Debatten im britischen Oberhaus haben eben nicht nur parteipolitische Zwecke.