Europa schummelt und vertuscht

■ EU-Rechnungshof kritisiert Verschwendung von Steuergeldern. Die schlanke Verwaltung ist überfordert

Straßburg (taz) – Im letzten Jahr wurden in der Europäischen Union rund neun Milliarden Mark verschwendet oder flossen in falsche Taschen. Das sind sechs Prozent des EU-Budgets. In seinem Jahresbericht kritisierte der Europäische Rechnungshof, daß 1995 selbst von den 300 Millionen Mark, die für die Aufdeckung von Betrügereien verwendet werden sollten, 30 Millionen nicht belegt werden konnten. Auf den ersten Blick bestätigt der Bericht die alten Vorurteile, daß der bürokratische Moloch in Brüssel fahrlässig mit Steuergeldern umgeht. Doch die auf 300 Seiten aufgelisteten Einzelbeispiele weisen in eine andere Richtung. Der größte Teil des Geldes verschwand in den Mitgliedsländern unter der Aufsicht nationaler Behörden. Vor allem bei den Agrarausgaben, immerhin die Hälfte des EU-Haushalts, wurde geschummelt und vertuscht.

So konnte etwa die deutsche Regierung nicht lückenlos nachweisen, was mit den Schweinen passiert ist, die wegen des Verdachts auf Schweinepest aus dem Verkehr gezogen wurden. Mehrere hundert Millionen Mark hat die EU für die Entschädigung der Bauern aufgebracht. Doch nach Auffassung des Rechnungshofes besteht der dringende Verdacht, daß die Entschädigungen zwar ausgezahlt, die Schweine aber irgendwohin, vermutlich nach Polen verkauft wurden.

In anderen Ländern wurden Prämien für stillgelegte Ackerflächen bezahlt, die nie stillgelegt wurden, Beihilfen für Baumwoll- kleinerzeuger landeten bei trickreichen Großerzeugern, für dänischen Feta aus Kuhmilch, an sich schon ein Täuschungsmanöver, wurden für den Export nach Iran 30 Millionen Mark zuviel an Ausfuhrerstattungen gezahlt. Einige nationale Verwaltungen, namentlich griechische, haben zudem aus Brüssel Beihilfen angefordert, die nie an die betreffenden Betriebe weitergegeben wurden.

Wenn es um die Kontrolle landwirtschaftlicher Ausgaben geht, erweisen sich alle Mitgliedsländer erstaunlich großzügig. Der Rechnungshof kritisiert in diesem Zusammenhang auch die EU-Kommission, die ihre Aufsichtspflicht vernachlässige. Sie müsse die Rechtmäßigkeit in regelmäßigeren Abständen überprüfen, heißt es im Bericht.

Viele Vorschläge des Hofes, wie die Kontrolle verbessert werden sollte, laufen auf eine Erhöhung der Stellen in Brüssel hinaus. So wurden beispielsweise die Zuschüsse für den Ausbau ostdeutscher Schlachthöfe, immerhin mehrere Millionen Mark, von nur zwei Beamten verwaltet.

Traditionell überträgt die EU- Kommission deshalb viele Aufgaben an private Agenturen, deren Finanzgebaren vom Rechungshof regelmäßig kritisiert wird. Anders, rechtfertigt sich die Kommission, seien die Aufgaben nicht zu bewältigen. Verglichen mit nationalen Behörden ist die EU-Kommission mit 13.000 Angestellten das Paradebeispiel einer schlanken Verwaltung. Mehr Stellen wollen die Mitgliedsländer auf keinen Fall zugestehen. Welche Folgen das hat, ist jedes Jahr im Rechnungshofbericht nachzulesen. Alois Berger