„Ich hätte Schlauch besser gefunden“

■ SPD-Vize Wolfgang Thierse: Stuttgarter OB-Wahl ist keine Absage an Rot-Grün

taz: Die SPD hat bei den Stuttgarter Oberbürgermeisterwahlen ein Debakel erlebt – und zugleich verhindert, daß Rezzo Schlauch von den Grünen den späteren CDU-Sieger schlagen konnte. Bedauern Sie das?

Wolfgang Thierse: Ja, das aber nicht erst jetzt. Das habe ich auch schon vor dem zweiten Wahlgang getan. Aber Sie werden verstehen, daß ein führender Sozialdemokrat nicht dazu auffordern kann, den eigenen Kandidaten nicht zu wählen.

Vertan wurde die Chance, einen CDU-Politiker von einer zentralen Position in Baden-Württemberg fernzuhalten.

Nur soviel: Ich hätte es besser gefunden, wenn man sich anders entschieden hätte. Aber man muß auch die Stuttgarter Situation berücksichtigen. Wenn unser Kandidat vor dem entscheidenden Wahlgang zurückgezogen hätte, wäre dies als Empfehlung für den anderen, sogenannten unabhängigen SPD-Kandidaten Joachim Becker aufgefaßt worden.

Der Pforzheimer Bürgermeister Joachim Becker war doch eh umstritten, so daß der SPD eine deutliche Wahlempfehlung für Schlauch kaum schwergefallen wäre.

Ich hätte das, wie gesagt, besser gefunden. Aber das Problem war ja auch, daß sich Rezzo Schlauch vorher als prononcierter Vertreter einer schwarz-grünen Koalition hervorgetan hat. Eine Option für ihn wäre für unsere Wähler kaum zumutbar gewesen, zumal es kommunalpolitisch sehr unterschiedliche Profile von Grünen und SPD gibt.

Das klingt wie eine Ausrede nach der Abstrafung durch die Wähler.

Nein, so ist es nicht gemeint, aber wir hatten, was die Stuttgarter Grünen anbetrifft, keine anderen Informationen.

Grünen-Sprecher Jürgen Trittin spricht davon, daß die SPD sich wie eine studentische Basisgruppe aufgeführt habe.

Ach, das ist ein lockerer Spruch aus den Reihen einer Partei, die ein relativ gutes Wahlergebnis erzielt hat.

Welche Schlüsse ziehen Sie denn aus dem verheerenden Resultat Ihrer Kandidaten in Stuttgart?

Ich fände es bedauerlich, wenn mit dem Stuttgarter Ergebnis eine Absage an alle rot-grünen politischen Ziele verbunden wäre. Und wir sollten nicht die Schlußfolgerung ziehen, daß die Grünen sich vor allem gegen die SPD profilieren müßten.

Die Querelen in der rot-grünen Koalition in Nordrhein-Westfalen oder die erst von CDU/CSU und FDP ermöglichte Wahl Antje Vollmers zur Bundestagsvizepräsidentin zeigen, daß die SPD die Grünen nicht gerade einlädt, mit ihr die Bonner Koalition abzulösen – die CDU geht mit ihrer FDP wesentlich pfleglicher um.

In entscheidenden Situationen, denke ich, muß man sich helfen, aber man darf nicht verhehlen, daß SPD und Grüne um unterschiedliche Wählerreservoirs kämpfen. Jede führt ihren eigenen Wahlkampf, jede Partei hat ihr eigenes Profil.

Trotzdem setzt sich der Eindruck fest, daß die SPD lieber eine Große Koalition hätte – gerade in der Kommunalpolitik unterschieden sich in der schwäbischen Hauptstadt die Grünen mehr von der CDU als die SPD.

Die Grünen sollten sich jetzt nicht wie die FDP verhalten, indem sie das Gespenst der Großen Koalition pflegen. Nein, uns geht es wirklich um eine neue Reformmehrheit. Interview: Jan Feddersen