Promiskuität im Rugbyteam

■ Kampnagel: Stephen Fry, Dandy ohne Zwang, liest aus seinem neuen Roman

Bei allen Schrecken des britischen Bildungssystems gibt es doch einige Pluspunkte zu vermerken. Deren wichtigster ist vielleicht der Zwang zum Rugby-Spielen. Die einzige Möglichkeit, sich diesem Zwang zu entziehen, besteht in der Kultivierung des eigenen Dandyismus, der Entkörperung und Verkünstlichung des eigenen Subjekts. In britischen Erstlingsromanen, geschrieben von jungen Männern, die ihre formale Bildung an hervorragenden Colleges gerade abgeschlossen haben, wimmelt es infolgedessen von juvenilen Möchtegernexzentrikern.

Ein Beispiel dafür wäre Stephen Frys Adrian Healey aus Der Lügner. Sechzehnjährig, blaß und eloquent stürmt er in den Umkleideraum des Rugbyteams seines Colleges und provoziert. Seine Waffe ist Amoralismus, sein Ziel Promiskuität. Und er bekommt, was er will. Die von solchen Figuren ausgehende Faszination ist schon beim Lesen gefährlich genug. Sie zu treffen kann verheerend sein. Um 1885 herum mischte ein Lord Alfred Douglas die Londoner Kulturszene auf. Douglas, ein Oxfordstudent, gab sich intelligent, wagemutig und keck. Oscar Wilde verfiel ihm sofort. Douglas führte Wilde in die Welt der Strichjungen ein, und Wilde fühlte sich prächtig – zumindest so lange, bis Douglas' erboster Vater eine Visitenkarte an „Oscar Wilde, den Sodomiten“ adressierte.

Das sich anschließende Gerichtsverfahren und der zweijährige Gefängnisaufenthalt ruinierte Wildes Karriere, seine Ehe, seine Beziehung zu Douglas und seine Gesundheit. Er starb dann bald.

Auch dies ist eine Geschichte, die nach einer Verfilmung geradezu schreit. Tatsächlich wird nächstes Jahr Wilde in die Kinos kommen. Der Film konzentriert sich auf den Niedergang Wildes, es darf also auf ausgehöhlte Wangen, dunkle Augenringe und generell morbiden Charme gehofft werden. Niemand anderes als Stephen Fry wird Oscar Wilde mimen. Wie sein Erstlingsroman ebenso wie erste Filmstills zeigen, beherrscht Fry den Dandydiskurs perfekt. Im Unterschied zu Wilde aber ist Fry kein Dandy, er spielt ihn nur.

Mit genau der Leichtigkeit, mit der seine Schöpfung Audrian Healey eines Tages beschließt, daß es mit der zur Schau gestellten Tuntenhaftigkeit jetzt genug sei, wechselt Fry die Rollen und Genres. Kinofilme, Musicals, Radiosendungen, Comedy-Shows: Fry kann alles. Und niemand sonst kann dermaßen klug die trivialsten Obszönitäten einbauen.

Am Samstag wird Fry aus seinem neuen Roman Making History vorlesen. Dann wird er noch ein bißchen über die Arbeit an Wilde sprechen, und alle werden mit ein bißchen mehr Stil nach Hause gehen. Matthias Anton Sa, 16. November, 22 Uhr, Kampnagel, foyer 2