Tapete abzugeben

■ Mord im Hobbyshop: Im Berliner Ensemble hat Karin Henkel "Der König stirbt" von Eugene Ionesco inszeniert

Wenn man den Zuschauerraum betritt, ist das Ende der Party in vollem Gange. Auf der Bühne ist ein ehemals feudaler Salon aufgebaut, dessen Rosentapete zerschlissen, mit Wandkritzeleien und einem Elvis-Starschnitt versehen ist: Thronsäle zu Hobbykellern. Zwischen leeren Weinflaschen und Zigarettenkippen taumeln letzte Gäste, ein Herr in Schlafanzughose wankt hinter einer Dame im kleinen Silbernen her, später vereint man sich zu einer besoffenen Polonaise, der Plattenspieler plärrt Stimmungsmusik, und einer improvisiert dazu auf dem Klavier.

So also sieht es aus, wenn unsereins schon nach Hause gegangen ist oder selbst den Überblick verloren hat, und gerne würde man statt im Parkett auf einem der orangefarbenen Plastikstühle da oben Platz nehmen, um ein bißchen mitzutun. Aber schon verschwindet der Gazevorhang, das Spiel beginnt, und der König stirbt.

Vor 34 Jahren schrieb Eugène Ionesco dieses Stück, und es ist keines der sogenannten absurden Dramen, sondern eine späte Parabel. Die Moral besteht zum einen darin, daß Behringer – Ionescos Otto Normalverbraucher, der hier zum König erhoben wurde – gar nicht sterben will. Aber seine erste Frau, Margarete, und sein Arzt finden, er sollte. Weil er „hart und streng“ ist, „ohne gerecht zu sein“, und schon zu lange an der Macht. Deswegen suggerieren sie ihm den Tod, und weil der König schwach ist, stirbt er am Ende tatsächlich. Schlechte Systeme können abgeschafft werden, Sie verstehen. Der andere Teil der Moral ist der, daß niemand weiß, was Behringer Besseres folgen könnte. Der König wird sterben, aber das Volk bleibt zwischen nicht mehr und noch nicht hängen, und das auf ewig – Sie verstehen sicher auch das.

Im Berliner Ensemble hat Karin Henkel inszeniert, eine 26jährige, die vom Wiener Burgtheater kommt. Sie versucht, die Moral von der selbstverschuldeten Leere sowohl vorzurechnen als auch herunterzuspielen.

Lore Brunner als Margarete und Veit Schubert als Arzt sind die Ungerührtheit in Person. Einander ohne Leidenschaft zugetan, führen sie konsequent ihren Plan aus, den König ins Grab zu reden, und Manfred Karge, der diesen als feisten Säugling schmatzt, sträubt sich nur zum Schein. Vorzeigetheater mit kleinen Irritationen, wenn es, zum Beweis dessen, daß das Reich ins Dunkel stürzt, heißt: „Die Sonne gehorcht schon nicht mehr“ – und Henkel aber schönstes Sommermorgenlicht in die Stube scheinen läßt. Auch hat Brunner eine gelungene Szene, als sie mit dem Publikum „Nehmt Abschied, Brüder, ungewiß“ anstimmt, um den Alten totzusingen. Dieser aber kontert mit „Wie schön, schön war die Zeit“, und dann dauert es noch eine Stunde bis zu seinem Tod.

Zwischenrein menschelt es volksbühnig. Rockmusik ertönt, und Maria, die zweite Frau des Königs und ihm inniglich verbunden, tanzt mit der Wache ausgelassen wie in einem Club. Wenn Henkel aber geplant hat, mit diesem jungen Pärchen (Mira Partecke und Ulrich Hoppe), mit ein bißchen „My Way“- und „It's better to burn out than to fade away“-Zitaten einen angemessenen Leck-mich- Kommentar dazuzuinszenieren, so hat sie der jungen Königin insgesamt zuwenig Kraft gegeben. Meist ist Partecke ja nur ein blasser Spatz und ehrlich verzweifelt über des Königs Sterben, und wenn sie später am Totenbett ein Lob der Überlebenden anstimmt, dann klingt es, als sage ihr jemand ein.

Nach dem schön entgleisten Anfang vollzieht sich also mit kleinen Arabesken letztlich bloß die altbackene Parabel. Was sich während des Königs Tod zwischen den Figuren wirklich abspielen könnte, wie sich der Irrsinn einer Freiheit, die einem doch nichts nutzt, äußern könnte, das ist hier nicht zu sehen. Statt dessen wirkt es, als ob die Darsteller die Tapetenfetzen des verwanzten Thronsaals (Bühne: Henrike Engel) eben doch gern wieder ankleben würden, ist die vorherrschende Stimmung eine merkwürdige Fassungslosigkeit darüber, daß der Himmel leer ist. Und während die einen zum Schutz ihre Rollen vorzeigen, eiern die anderen benommen vor sich hin. Gut war es also, den Mitmachimpuls ganz schnell zu unterdrücken. Petra Kohse

Wieder am 17./18.11., 19.30 Uhr, BE, Bertolt-Brecht-Platz