Luftvorwärmer und andere Nasen Von Karl Wegmann

Dunkelgrauer Novembernachmittag. Grippewetter. Draußen Nieselregen, drinnen eine dieser Vorabendserien in der Glotze: Ein Mörder rennt durch die Botanik und versucht seine Verfolger abzuschütteln. Er verstreut schwarzen Pfeffer, um die Spürhunde zu täuschen. Die sind jedoch auf Draht, niesen mal kurz und hetzen weiter.

„Blöder Idiot“, bemerkt Willy. „Wieso denn“, frage ich, „ist doch eigentlich kein schlechter Trick, Pfeffer.“ „Doch, ist es“, behauptet er, „Hunde haben nicht nur gute Nasen, sie sind auch clever! Die einzelnen Duftanteile im Geruch einer Fußspur verflüchtigen sich nämlich verschieden schnell. Innerhalb von Sekunden verändert sich das Duftbild eines Fußabdrucks so sehr, daß ein Hund das nach Ablaufen einer, sagen wir mal zwanzig Meter langen Strecke, wahrnehmen und darauf auf die Richtung schließen kann, die der verfolgte Mensch gelaufen ist.“ „Sagenhaft“. Ich bin ehrlich beeindruckt. „Wie kommt es eigentlich, daß wir Menschen mit unseren Riesenriechkolben viel schlechter riechen können als Hunde?“ Willy lächelt, er mag solche Fragen. „Weil deine Nase in erster Linie ein Luftvorwärmer und in zweiter ein Kulturboden für Schnupfen ist“, antwortet er, „nur ein winziger Teil ist Riechorgan.“ „Ach, und ich dachte immer ...“ „Nee, nee“, unterbricht er mich und kommt allmählich in Fahrt, „dein Zinken ist zwar wirklich eindrucksvoll, trotzdem hast du tief im Innern der Nase nur ganze fünf Quadratzentimeter Riechfläche, ein Schäferhund dagegen hat 150 Quadratzentimeter, krasser ausgedrückt: Du hast ungefähr fünf Millionen Riechsinneszellen, ein Schäferhund hat 220 Millionen!“

Auf dem Bildschirm haben die Hunde den Mann erwischt und verbeißen sich in ihn. „Das heißt dann ja, daß ein Schäferhund 44mal besser riecht als ein Mensch.“ „Wieder falsch“, amüsiert sich Willy, „Milchmädchenrechnung! Messungen mit dem Olfaktometer haben ergeben, daß das Riechvermögen eines Hundes eine Million mal besser ist. Das Geheimnis der Hundenase liegt also nicht in der ungeheuren Massierung der Sinneszellen, sondern vor allem in der Funktionsweise.“

Bevor er mir die genau erklären kann, frage ich schnell: „Es gibt also keine Möglichkeit, eine Hundenase zu täuschen?“ „Natürlich gibt es die“, Willy gibt sich empört angesichts meiner Naivität. „Meerschweinchenpisse“, sagt er. „Was?“ „Meerschweinchenpisse“, sagt er noch einmal. „Wenn dich ein Hund verfolgt, mußt du auf deine Fährte Urin von Meerschweinchen schütten. Es gibt nichts Besseres! Der Geruchssinn des Hundes wird dadurch nämlich betäubt, das liegt an der speziellen Zusammensetzung von Meerschweinchenurin ...“ Und erklärt sie mir haarklein. Ich aber denke an die ganzen Filme, die ich gesehen habe, in denen Räuber oder Sträflinge von Bluthunden gehetzt wurden. Blöde Idioten, hätten sich einfach vorher ein Meerschweinchen besorgen sollen.

An diesem Abend lernte ich übrigens alles über Nasen. Willy erzählte vom „Duftkrieg im Korallenriff“, von dem „Spezialriechsinn der an Rebwurzeln fressenden Larven des Dickmaulrüßlers“ usw. Wirklich lehrreich. Ich traute mich nicht mehr, ihn zu unterbrechen, dabei hätte ich eines ganz gerne noch gewußt: Was zum Teufel ist eigentlich ein Olfaktometer?