■ Daumenkino
: DNA

Der Mensch braucht ein Ziel, welches er edler sich nicht setzen kann, als wenn er nach Höherem strebt. Doktor Moreau ist – bekanntlich, da als Literatur (H.G. Wells) mehrmals verfilmt – ein beleidigter Wissenschaftler, der sich auf ein Eiland zurückgezogen hat, um an der Herstellung des vollkommenen Menschen zu basteln: Friedfertig, arbeitsam, musikalisch und gebildet soll er sein. Als Rohmaterial dient die Fauna, zu deren Verfeinerung Moreau nichtsahnend vorbeischauende Besucher ausweidet. So werden fauchende Miezekatzen zu schönen Frauen, raubgierige Tiger zu kräftigen Arbeitsmännern, kurzum: Schwerter zu Pflugscharen. Jawohl, wir sehen einen Christenfilm, weswegen alsbald ein bescheidener schiffbrüchiger Wissenschaftler (David Thewlis) erscheint, die Hybris zu verurteilen.

Familienleben und andere Schwierigkeiten. An Moreaus (Marlon Brando) Tafel rivalisiert der Hundebruder mit der Katzenschwester, wartet der Neider und angehende Putschist (Val Kilmer als Assistent Moreaus) auf seine dunkle Stunde. Ein verschrumpelter Winzling, der aussieht wie eine Contergan- Kartoffel, aber sehr schön Klavier spielt, sitzt geduldig dabei und begreift nichts. Ha, das hat sich Moreau so gedacht: einfach ein Uhrwerk in den Busen der Bestien schummeln, Fernbedienung draufhalten, fertig ist das vollkommene Wesen. Nicht gerade äußerlich vollkommen, aber es zählen ja die inneren Werte.

Hier und da stehen zwar ein paar Glasröhrchen im inseleigenen Labor herum, aus denen Dr. Moreau seinen kuriosen Zwittern hin und wieder etwas Humanflüssigkeit injiziert, um ihren Rückfall in die Animalität zu verhindern, doch die titelgebende DNA spielt kaum eine Rolle. Die Seele wird ins Herz verlegt und ferngesteuert wie ein Spielzeugauto. Zum Brüllen komisch, wenn sich Moreaus Zwitterwesen bei Knopfdruck winselnd auf dem Boden wälzen. Fauler Zauber bedeutet nur Aufschub – für die erwartungsgemäß stattfindende Katastrophe, eine Art orgiastischer Party mit kollektiven Hinrichtungen und Feuersbrunst.

Wer sich diesen Film antut, um das einstige „Naturereignis“ (premiere) Marlon Brando zu sehen, sollte in Betracht ziehen, daß der Mann seit einiger Zeit verhaltensauffällig ist und vor vollständig versammelten Geburtstagsgesellschaften seine Hosen und anderes herunterläßt. Brandos Moreau, ein selbsternannter Gott, der seine „lieben Kinder“ nach Sektenart hält, ist ein fettes Wesen mit schneeweiß geschminktem Gesicht und rot bemalten Lippen, in ein weißes Zelt gehüllt – die Krönung dieser trashigen Freakshow, zugleich eine Beleidigung für jede rechtschaffene Tunte. Das Beeindruckendste ist Moreaus Klimaanlage: ein auf dem Kopf zu tragender Blecheimer, der nach Bedarf mit Eiswürfeln gefüllt wird. Anke Westphal

Regie: J. Frankenheimer