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Reisen durchs Weltall und ganz umsonst

■ Sabine Siegfried lädt mal wieder zum etwas anderen und völlig schmutzfreien Reisen

Fliegen wird immer billiger, „last-minute“ ist das Stichwort für die überdrehte und unterbezahlte Reiseform am Ende eines gehetzten und Ressourcen verschleudernden Jahrhunderts. Den Vogel hat jetzt Archipel Reisen abgeschossen: Hier wird „Verreisen zum Nulltarif“ geboten. „Überzeugen Sie sich: umsonst – preiswerter geht es nicht“ verkünden dunkelorange Plakate und fahren mit der ungewöhnlichen Zeile fort: „Auch Zeitreisen sind möglich.“

Die Adresse dieses Büros ist Admiralitätstrasse 76 und die Geschäftsführerin die Künstlerin Sabine Siegfried. Berufswechsel? Nein, Weiterarbeit an einem ihrer zentralen Themen. Im Spätsommer 1993 organisierte sie zusammen mit Eva Bothe die „Stadtfahrten“, Bustouren, die die Stadt aus der Sicht internationaler Künstler erschlossen. Jetzt ist es Flann O'Brien, der ihr den Text für das neue Reiseprojekt liefert. Des Iren Lieblings-alter-ego, der imaginäre Autor de Selby, reist nämlich auf recht ungewöhnliche Art von Bath nach Folkestone: Er schließt sich mit Ansichtskarten, Uhren, barometrischen Instrumenten und regulierbarem Gaslicht in sein Pensionszimmer in Bath ein und kann die Reise so ohne große Störungen durchführen. Erstaunlicherweise wurde er sogar am gleichen Tag an seinem Zielort bei der Erledigung von Geschäften gesehen. Da wäre also noch was zu lernen.

Flann O'Briens Text ist auch fast das einzige, was der heutige Tourist am Schaufenster von Archipel-Reisen findet. Dazu Grundrisse antiker Gebäudekomplexe, ein Guckloch, das den Blick auf eine Tonplastik zur Stadtplanung von Esteban Mayor freigibt, und schließlich die Aufforderung, selbst zu Gedanken- und Zeitreisen aufzubrechen und die Erlebnisse in den Briefkasten zu werfen: zum Austausch von Erfahrungen und damit daraus ein Buch entstehe.

„Weiterhin viel Vergnügen mit dieser Form des Reisens“ wünscht die Künstlerin, die daran erinnert, daß wir alle als Kinder es ja gewohnt waren, nicht mit, sondern durch Bücher zu reisen. Also Touristen, schützt die Umwelt und trainiert die Imagination, folgt Novalis Satz: „Wir träumen von Reisen durch das Weltall. Ist denn das Weltall nicht in uns? Die Tiefen unseres Geistes kennen wir nicht.“

Die Hamburger Installation ist Teil eines größeren Projekts, das Sabine Siegfried zum Abschluß ihres Stipendienjahres auf Schloß Bleckede vorstellt. Dort sind ebenfalls Arbeiten der Leipziger Gruppe Solitaire Factory und des Musikers Witwulf Malik zu sehen.

Hajo Schiff Archipel Reisen, Admiralitätstr. 76, bis 14.4. Eröffnung in Schloß Bleckede: Sonntag, 17 Uhr, 21354 Bleckede, bis 17.4.

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