Zerfressene Gesellschaft

■ Tahar Ben Jelloun liest aus „Der korrumpierte Mann“

Korruption ist zerstörerisch – für den Menschen wie für das Gemeinwesen. Fast überall in der Welt wurden Korruptionsfälle bis in höchste Regierungskreise enthüllt und die Mechanismen von Bestechung sichtbar. Der in Frankreich lebende Romancier Tahar Ben Jelloun hat darüber sein neues Buch geschrieben. Der korrumpierte Mann ist in seiner marokkanischen Heimat angesiedelt. Der Roman zeigt eindrucksvoll, wie ein Mensch der Korruption erliegt.

„Beweglichkeit“ lautet das Zauberwort in der Umgebung des Protagonisten Maroud, der als Ingenieur im Bauamt tätig ist: „Ohne meine Unterschrift gibt es keine Baugenehmigung.“ Maroud wirkt wie ein Fossil in einer von Korruption zerfressenen Gesellschaft, denn er hat Grundsätze: „Nein, ich bin nicht käuflich.“ Während Kollegen und Vorgesetzte ungeniert ihren illegal erlangten Reichtum zeigen, kann Maroud von seinem kärglichen Gehalt kaum die Familie ernähren. Alle halten seine Prinzipientreue für Dummheit, seine unzufriedene Frau bedrängt ihn: „Küsse die Hand, die du nicht beißen kannst.“ Langsam unterminiert dies sein Selbstwertgefühl, er gerät in eine Krise.

Ben Jelloun unternimmt die verschiedensten Ausflüge in die Phantasien seines Protagonisten und zeigt mit erzählerischem Raffinement die moralische Zersetzung eines lauteren Mannes. Die Verheissungen des Wohlstands gewinnen in Maroud allmählich die Oberhand, ihn locken das Prestige und die kleinen Annehmlichkeiten des Komforts. Schließlich gerät die Ordnung Marouds ins Wanken – zuerst in seiner Phantasie –, aber sind „Leben und Traum nicht die Seiten ein und desselben Buches?“

Der korrumpierte Mann beobachtet den Verlust von Moral, ohne moralisch zu werden – Tahar Ben Jelloun sei Dank für dieses Kunststück.

Frauke Hamann

Literaturhaus, Schwanenwik 38, 20 Uhr. „Der korrumpierte Mann“ ist im Rowohlt-Verlag erschienen und kostet 38 Mark.