Vom Nirgendwo ins Irgendwo

■ Russische Übersiedler und ihr „Traum von Deutschland“ (21.15 Uhr, ZDF)

Die „Heimat“ kann Gifhorn heißen, Lahr oder Waldbröl. Wohin es sie verschlägt, ist vielen Rußlanddeutschen gleichgültig. Meist kennen sie Deutschland ohnehin nur vom Hörensagen. Und wenn sie eines Tages übersiedeln, erwartet die Alten ihre rechtlich zugesicherte Rente und die Jungen ein sechsmonatiger Sprachkurs mit anschließender Arbeitslosigkeit. Trotzdem, so zeigt uns die ZDF- Reportage „Der Traum von Deutschland“, tauschen rund 200.000 Menschen das Nirgendwo in der schlammigen Steppe weit hinter dem Ural gegen das asphaltierte Kleinstadteinerlei irgendwo in Deutschland.

Ingeborg Jacobs und Hartmut Seifert dokumentieren den oft nur mangelhaft motivierten Exodus am Beispiel zweier Familien aus dem fernen Kasachstan, die sie erst „drüben“ und, Monate später, auch „hüben“ heimgesucht und nach ihrer Befindlichkeit, ihren Perspektiven befragt haben. Verständlicherweise sind es vor allem wirtschaftliche Gründe, die zur Ausreise animieren. Von Zwistigkeiten mit Russen oder Kasachen jedenfalls wollen die Befragten nichts wissen.

Offiziell sind Deutschkenntnisse eine der Voraussetzungen, damit einem Antrag auf Übersiedlung stattgegeben wird. Und so läßt die Reportage Großeltern, Eltern und Kinder bedauerlicherweise gern mühsam auf deutsch antworten, statt den ohnehin Wortkargen Zeit und Gelegenheit zu geben, ihre Gedanken adäquat zu artikulieren. Sprechpausen werden von Kamera und Interviewerin alsdann auch gleich mehrfach dazu genutzt, um sich in die Totale davonzumachen. Still und stumm schauen die Befragten dem sich langsam entfernenden Team hinterher; derart stehengelassen, hinterlassen sie unwillkürlich den Eindruck von Verlassenheit – egal ob 5.000 Kilometer entfernt im kasachischen Vorgarten oder vor der Gemüsetheke vom Supermarkt um die Ecke.

Was sie sagen, unterscheidet sich allerdings kaum von dem, was auch eingeborene Arbeitslose und Ausbildungsplatzsuchende so sagen würden – und das nicht etwa, weil Rußlanddeutsche besonders „deutsch“ wären, sondern weil ohne Arbeit zu sein, von Sozialhilfe zu leben, sich zu verschulden für alle Betroffenen grundsätzlich dasselbe bedeutet.

Leider schaut in Kasachstan kaum jemand ZDF. Für die dortigen Übersiedlungswilligen wäre „Der Traum von Deutschland“ bestimmt erhellend. Hiesigen ZuschauerInnen hingegen bietet er nur wenig Neues. Christoph Schultheis