„Was haben Sie von den Verbrechen der Wehrmacht gesehen, gehört...?“

■ Am Ausgang der Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“ in Wien hat Ruth Berghaus einen Film darüber gedreht, wie die Bilder bei der Verarbeitung der Vergangenheit heute helfen

Die Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht 1941-44“ ist in Wien gezeigt worden – in einer ehemaligen Milchfabrik mit weiß gekachelten Wänden. Auch in Österreich gab es in den Medien vorab eine heftige Kontroverse um die Ausstellung. Ruth Bergmann hat Ausstellungsbesucher am Ausgang zu dem, was sie gesehen hatten und was sie bewegt, befragt: „Jenseits des Krieges“ heißt ihr dokumentierender Film, der vor wenigen Tagen in Wien zum ersten Male gezeigt wurde.

Lore Kleinert: Was haben diese Bilder und Texte an Reaktionen hervorgerufeufen bei den Männern, die dabei waren?

Ruth Beckermann: Am Anfang war in Österreich die Reaktion auch sehr ablehnend, die Veteranen organisationen sind in Österreich sehr stark, die Leute sind also sehr emotionalisiert hingekommen und viele haben schon am Eingang gesagt: Jetzt schaue ich mir an, was man uns da für einen Dreck über den Kopf schüttet und wie man die Kriegsgeneration beleidigt. Wir haben in den ersten Tagen viele heftige Reaktionen unter den Kriegsteilnehmern selbst, aber auch zwischen den Generationen gedreht. Dann wurde es in den Medien ruhiger und dann waren die Besucher auch plötzlich ruhiger und haben sich das angeschaut und waren sehr viel beeindruckter. Viel beeindruckter als sie das überhaupt ausdrücken konnten. Es war erstaunlich für uns, daß nur zwei, drei gesagt haben, sie wollen nicht mit uns sprechen - die meisten waren sogar froh darüber, daß jemand sie fragt, in Ruhe fragt und sie in die Kamera ihre Geschichte erzählen konnten: das, was sie an der Ostfront gesehen haben. Nur darum geht es in diesem Film: Was haben sie von den Verbrechen der Wehrmacht gesehen, gehört, als sie selbst Soldat waren.

Als die Männer zurückgekommen waren, war die verbreitete Version: Nichts davon mitbekommen. Aus Verdrängung, aus Selbstschutz, aus Feigheit, was auch immer.

Das Erstaunliche für mich war, daß es die Kriegsgeneration nicht gibt. Auch wenn einer in der Wehrmacht war, zum großen Teil nicht freiwillig, hatten sie doch die Möglichkeit, sich so oder so zu verhalten. Man konnte die Augen verschließen, gar nichts sehen, es kommen so viele Klischees hervor, auch bei den Frauen, die sofort in die Terminologie der Zeit fallen, von Reichsmark sprechen. Und es gibt solche, die sehr viel gesehen haben. Was klar ist: Alle haben gewußt, unter den Soldaten wurde natürlich darüber gesprochen: Was sind da für frische Massengräber? Zum Beispiel. Auch wenn man die Taten nicht direkt gesehen hat, ist man durch Polen gezogen und durch die Sowjetunion. Man hat die Züge gesehen. Die Soldaten haben doch miteinander gesprochen. Das kommt in dem Film ganz klar heraus, auch wenn viele dies abstreiten.

War das auch eine Erleichterung für Besucher, darüber reden zu können?

Da kommt ein Mann vor, der gerührt ist oder erschüttert ist eher. Der sagt, er hat bis zur Waldheim-Affäre nie zu seiner Familie darüber gesprochen. Und dieser Mann erzählt, wie er in Minsk am Bahnhof steht und Waggons sieht und sich fragt, was ist da drin, was sind das für verschlossene Waggons, die tagelang am Bahnhof stehen – bei 40 Grad Hitze. Und er sieht, wie man dort tote russische Kriegsgefangene hinausschmeißt. Der drückt das so aus: Da waren welche mit mir, die haben das Gleiche gesehen wie ich, aber sie haben es anders gesehen, sie haben es nicht gesehen. Das hat für mich gezeigt, daß die Verdrängung schon in der Situation da war. Manche haben nicht gesehen, weil die Ideologie so wunderbar funktioniert hat und weil sie mit etwas ganz anderem beschäftigt waren, wie sie dort in Minsk angekommen sind.

Und weil später niemand so genau gefragt hat.

Ja, einerseits waren viele in den Kriegsgefangenenlagern, dort haben sich die Codes und Rituale herausgebildet, wie man sich verhalten muß in dieser neuen Welt. Das wird in dem Film auch angesprochen von zwei Kriegsteilnehmern, die sagen: In dem Kalten Krieg ist uns die Rechtfertigung geliefert worden für das, was wir gemacht haben.

Es kommen aber auch einige vor, die das rechtfertigen und sagen: Das war ja eigentlich nur ein Präventivkrieg. Hätten wir nicht gegen die Sowjetunion gekämpft, würden die Russen heute am Atlantik stehen. Das ist wie ein Stehsatz. Zweimal kommt das nie bewiesene Curchill-Zitat: Wir haben damals das falsche Schwein geschlachtet.

Fast alle sagen: KZ ist das Schrecklichste, das, was mit den Juden passiert ist. Indem sie das sagen, ist es so, als dürften sie all das, was noch da war, eigentlich nicht so schlimm finden. Partisanenaktionen, Erschießungen von Kriegsgefangenen, vor allem überhaupt diesen von ihnen so genannten Präventiv-Schlag gegen die Sowjet- union. Das ist nicht so schlimm, darüber kann man heute diskutieren.

Ausschnitte aus dem Live-Interview vom 15.11.96, geführt von Lore Kleinert im Journal am Morgen, Radio Bremen 2