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Endloskino im Breitwandformat

Mit dem legendären Orient-Expreß von Moskau nach Peking. Eine Geschlossene-Gesellschaft-Reise entlang der Seidenstraße mit Besichtigungshäppchen, Kaviar und Wüstenlandschaft  ■ Von Annette Rogalla (Text) und Andrea Fiedler (Fotos)

Im Kasaner Bahnhof von Moskau ist es ein bißchen zu warm; das Licht ist hell, und über den Hunderten Menschen, die gleichmütig an den Perronsperren warten, tanzen Staubwölkchen. Von hier fahren die Züge nach Osten ab. Grüne Dieselloks, verziert mit Hammer und Sichel, schnauben in den Bahnhof – bereit, dicke Bäuerinnen mit prallvoll rotblaukarierten Plastiktaschen zurück nach Omsk, Bratsk oder an den Baikalsee zu bringen.

Warum fragt niemand, wohin ich fahre? „Sie werden sich wundern“, würde ich sagen. „Ich fahre an die Wolga, dann, oberhalb des Kaspischen Meeres, weiter nach Süden: Chiwa, Buchara, Samarkand, Taschkent. Märchen aus Tausendundeiner Nacht, die Seidenstraße, historische Stätten. Bis nach Peking wird mich der Zug bringen!“

Keinen kümmert's. Niemand schaut versonnen den Sonderzug an, der auf Gleis 7 einläuft. Auf jedem der königsblauen Waggons halten zwei goldfarbene Löwen das Wappen mit den Initialen NOE – „Nostalgie-Orient-Expreß“. Wer vergangenen Zeiten nachreisen will, nimmt den Luxuszug der Götter des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Echte und falsche Aristokraten, orientalische Herrscher, Rüstungsindustrielle, Wissenschaftler und Hochstapler frequentierten ihn seinerzeit zwischen Paris und Istanbul.

Seine Passagiere heute sind weniger buntschillernd. Abonnenten der Frankfurter Allgemeinen Zeitun (FAZ), Ingenieure in leitenden Funktionen, eine aus Dresden ausgereiste und in Aachen zu Geld gekommene Witwe, Landärzte und eine 40jährige Bankerin aus der Schweiz, eine Gruppe japanischer Rentner. Eine Ansammlung von, wie sagt man, interessanten Personen, für drei Wochen in dem rollenden Hotel vereint; 104 Menschen aus drei Ländern machen eine Gesellschaftsreise.

Ohne Pfeifen und Signal schleichen wir pünktlich um 16.23 Uhr aus dem Bahnhof. Draußen, hinter Moskau, spult sich die Weite Rußlands ab: Birkenwälder im matten Dämmerlicht, rechts ein Holzhaus, links ein Gemüsegarten, keine Bahnhöfe.

Kellner im Frack servieren das Galadinner: süßer Sekt, falscher und echter Kaviar auf Eihälften, Gurken und Tomaten, eine Art Steak. Zum Nachtisch Eis und Kaffee. Die Sessel im Pullmanwagen sind wohnzimmerweich. Statt der Glotze läuft der Kennenlern- Smalltalk. „Der schönste Zug auf Erden. Schon im vergangenen Jahr damit gefahren, von Moskau durch Sibirien nach Peking. Wunderbar!“ Die großen Spiegel im Speisewagen, die edelholzgetäfelten Wände. „Waren Sie schon in der Bar? Haben Sie dort die Panneaux bemerkt, mundgeblasene Glasapplikationen von Lalique. Jugendstil. Alles original erhalten!“ Neugierig wie die Kinder sind sie, bestaunen jedes Detail der angestaubten luxuriösen Einrichtung. „Warum spielt der Pianist nicht?“ Die Gräfin vom norddeutschen Wasserschloß zupft ihren roten Jackenärmel zurecht: „Auf der Sibirienfahrt hat er vom ersten Abend an pünktlich um acht am Klavier gesessen.“

Im Abteil ist das Bett hergerichtet. Schienenmusik. Jeder Strang ein Takt. Dumpfe Bässe schlagen den Rücken und kriechen in die mageren Träume. Der Zug hämmert im stupiden Ratatata-Ratatata durch die Nacht. Es spielt die Hintergrundmusik für eine Kinovorstellung im Breitwandformat, 10.663 Kilometer lang.

Am nächsten Nachmittag, weit hinter der Wolga, hört die Farbe Grün auf. Kilometerweit spannen sich Strommaste über die braunfleckige Erde. Dazwischen grasen Kühe an mageren gelben Halmen. Lotrecht fällt der Horiziont aus den Wolken. Die Erde ist eine Scheibe. Hin und wieder taucht eine Ansammlung von Hütten an der Bahntrasse auf, vier, fünf schnell zusammengezimmerte Bretterbuden ducken sich windschief aneinander. Zwei Jungs lassen eine Fahrradfelge auf einer Betonplatte springen, unter einem Baum lungert eine Gruppe Hunde.

Niemand hat eine Ahnung, wie dieser Landstrich heißen könnte. Haben wir bereits die Grenze zu Kasachstan passiert? Nelly, die Reiseleiterin, vermutet es: „Hier hat sich noch nichts geändert. Oder doch. Alle haben Strom.“ Überhaupt, diese Kasachen seien ein rückständiges Volk, die sich nicht assimilieren ließen. „Weil sie sich immer als Moslems gefühlt haben“, sagt Nelly, die Russin.

Später, in der Bar, hält sie einen Vortrag: Die Frauen in Kasachstan. Wir erfahren, daß sie in ihrer Küche immer ein Feuer brennen lassen, über dem der Teekessel hängt, daß ihre Häuser in einen Frauen- und einen Männertrakt unterteilt sind, daß sie Fremden gerne gekochte Ziegenköpfe anbieten, „die besten Stücke, Augen, Lippen und Ohren, dürfen sich die Ehrengäste abschneiden“. Noch heute placke sich die Frau zum Wohlgefallen Allahs. Draußen glitzern weiße Krusten auf braungelbem Boden. Wir fahren an ausgetrockneten Salzseen vorbei. Die Kristalle funkeln wie geschliffene Diamanten. Die Witwe aus Aachen, die anfangs noch genau hinhörte, ist eingeschlummert.

Drei Tage später erreichen wir Buchara. Am Tag zuvor, auf dem Markt von Chiwa, hat es einen internationalen Zwischenfall gegeben. Laßt uns ein Foto von den Japsen machen, soll der eine zum anderen Deutschen gesagt haben. Selbstverständlich verstehen die Japaner diese Schmähung und schicken ihren Guide zu dem Schweizer Zug-Gesamtreiseführer. Der muß sich im Namen der Deutschen entschuldigen. Seither grüßen die Japaner nicht mehr. Nun, am frostigen Morgen danach, also Buchara. „Buchara sharif“, sagen die Einheimischen, das heilige Buchara. Zwei Visiten in Buchara gelten genausoviel wie ein Besuch in Mekka. Am Bahnhof warten vier Busse. Zwei für die gemischte Gruppe der deutschen und Schweizer Einzelreisenden, einer für die japanische, einer für die Damen und Herren der FAZ-Leserreise. Asphaltierte Straßen, niedrige Ziegelhäuser und staubige Hütten aus gestampftem Lehm. Eine Baustelle. Brauner Ziegelbau, sechs Stockwerke hoch, verklinkerte Fassade. Der erste Neubau seit Moskau. An der Staße stehen sich zwei emaillierte Plakatwände gegenüber. Vom rechten strahlt ein blauäugiger Sowjetmann, vom linken blickt ernst ein weißbärtiger Imam.

Unsere einheimische Führerin kennt alle Maße, Entfernungen und Bauweisen der Gebäude, aber keine Geschichte. „Das Klima ist scharf kontinental, im August 49 Grad Celsius, im Januar kann die Temperatur auf minus 27 bis minus 29 Grad abfallen. Die Stadt hat heute 250.000 Einwohner, das Gebiet eine Million. Im Umkreis befinden sich 40 Betriebe der Leichtindustrie, Baumwolle bildet die Haupteinnahmequelle.“ Seit Jahren füttert sie ausländische Reisende mit ihrem sozialistischen Sermon voller Einzelheiten. Am Fuße des Großen Minaretts spult sie ihr Fremdenführerlatein wieder ab. „Früher leuchtete das Feuer auf dem Turm den Handelskarawanen den Weg, die aus der Kysyl Kum, der roten Sandwüste, kamen. Der Turm ist 46 Meter hoch, das Fundament zehn Meter tief, 105 Stufen führen hinauf, im 18. Jahrhundert ließ der Emir von oben Delinquenten kurzerhand in den Tod stürzen.“ „Finde ich gut“, meint die grauhaarige Dame aus Süddeutschland. Ich halte den Mund und nehme mir vor, beim Essen darauf zu achten, daß sie nicht neben mir sitzt. Geschlossene Gruppenreisen machen feige.

Willig wie die Ziegen tapern wir zum nächsten Besichtigungspunkt. Die Moschee des Emir und die Medrese Mir-i-Arab, die einst in der ganzen muslimischen Welt berühmte Koranschule. Im Jahr 900 gebaut, konnte die Moschee bis zu 10.000 Menschen zum Gebet aufnehmen. Vor sechs Jahren wurde sie wiedereröffnet. „Was war hier zur Zeit des Sozialismus?“ frage ich die Führerin. „Nichts.“ Daß sie unmittelbar nach der Ankunft der Bolschewiken geschlossen und in ein Warenlager umgewandelt wurde, erfahren wir nicht. Was war, was wird? Wer kann sich dafür schon interessieren.

In vier Stunden hat der Gruppenreisende Baumwollfelder zu besichtigen, eine Moschee, einen Turm, ein Mausoleum, eine Festung zu bewundern, einen Basar zu besuchen und zum Abschluß ein Mittagessen mit Modenschau zu bewältigen. Was bleibt, sind Erinnerungen an türkisblaue Schindeln auf einer Kuppel, an einen Maulbeerbaum im stillen Hof der Koranschule und an einen alten Mann mit großen Ohren, weißem Ziegenbart und grünem Mantel. Irgendwo in der Altstadt stand er da und schnalzte mit den Fingern, als wären sie Kastagnetten. Dazu gurrte das zerknitterte Täubchen. Das war Buchara. Seine 180 Denkmäler werden für das kommende Jahr hergerichtet, damit die Stadt ihr 2.500jähriges Jubiläum feiern kann. Alle helfen mit: die Unesco, Glaubensbrüder aus Pakistan und anderswo, Soldaten in schweren Armeestiefeln schleppen den Schutt von den Baustellen. Einfache Arbeiter haben graue Plastiklatschen an den Füßen.

Samarkand. Nein, ich will nicht mehr wissen, wieviel Kilogramm zweischichtigen Blattgoldes zum Restaurieren eines Moscheenhimmels gebraucht werden. Ich warte draußen. Eine Frau drückt sich an der Wand lang. Im Arm hält sie ein verschnürtes Tücherbündel, das sie Touristen unter die Nase schiebt. Ein kleiner Kinderkopf baumelt aus dem Paket. Das Baby ist nur wenige Wochen alt. Warum wackelt das Köpfchen so, wie abgetrennt vom Rumpf? „Money.“ Ist das Kind tot? Bachtijar, der Chef unserer Zug-Security, hat keine Augen für das Kleine und die Frau mit der Blechbüchse. „Zigeuner“, zischt er. Lästig.

Vor sechs Jahren ist Bachtijar, der gelernte Sicherheitsmann aus dem Innenministerium, von Samarkand nach Moskau gegangen: „Als wir hier Probleme mit Aufständischen hatten. Ich hatte Angst, irgendwann schießen zu müssen.“ Seither bewacht er Gesellschaftsreisende in geschlossenen Zügen.

Taschkent. Wir hängen fest, kriegen keine Lok. Unser Zug steht außer Sichtweite, auf einem Abstellgleis, umgeben von zehn dunkelgrünen Loks. „Alle kaputt. Wir Usbeken haben kein Geld, sie bei den Russen reparieren zu lassen.“ Bachtijar hat längst vor den Kolonialherren kapituliert.

Im Barwagen ist Party. Die Reisegesellschaft trinkt und tanzt. Und einige Japaner nicken wieder.

Elfter Tag. China fängt in einer beigen Berglandschaft an. Ein strenger Frauenmund, blutrot angepinselt, durchsucht das Gepäck. Zwei fragile Kerlchen sammeln die Pässe ein. Vier Stunden später dürfen wir raus aus dem Orient-Expreß und den Zug wechseln. Ein alter Regierungszug aus Moas Zeit. Die braunrot lackierten Abteile sind geräumig, der Duschwagen fehlt, nicht alle bekommen ein Einzelabteil, in den hinteren Waggons gibt es Stehklos. „Friedhelm, wo sind wir nur gelandet!“ Im Andrenalinrausch sammeln die Leserreisenden per Camcorder Beweise für eine Preisminderung.

Noch acht Tage bis Peking. Wir fahren durch pralle Hügel und langgezogene Wellen. Land schaftsskulpturen in Braun und Gelb. Zwischendrin ein Fabrikgebäude. Staubbepudert. Zerbrochene Fenster, wie ausgeschlagene Zähne. Aus dem Schornstein dampft es weiß.

Provinz Xinjang. Bettelarmer chinesischer Westen, aber riesengroß. Nur 16 Millionen Menschen leben hier. Herr Li, der uns als Dolmetscher an der Grenze mitgegeben wurde, klärt auf: „Die islamischen Völker, vorwiegend Uiguren und Kasachen, bilden eine knappe Bevölkerungsmehrheit, trotz starker Zuwanderung der Han-Chinesen. Seit dem Zerfall der Sowjetunion zeigt sich ihr neugewachsenes Selbstbewußtsein und ihr Autonomiebestreben. Aber niemals wird China auf seinen Nordwesten verzichten.“ Peking lädt Atombomben hier ab, entledigt sich seiner Kriminellen und Dissidenten.

Morgens hält der „China Orient-Expreß“ in Daheyan. Der Bus bringt uns nach Turfan. Eine neue Asphaltstraße. Rechts schlagen zehn Arbeiter wie aneinandergekettet den Sand mit der Schippe platt. Etwas dahinter Erdlöcher, notdürftig mit Balken abgedeckt. Darin schlafen die Männer. Wir fahren durch schwarze Steine und Geröll. Vom Himmel regnet es Sand. Drei Stunden später sind wir in Turfan. Die erste Oase, 150 Meter unter dem Meeresspiegel. Im Sommer wird die Erde bis auf 60 Grad aufgeheizt. Ideales Klima, um die Altertümer zu erhalten: In 400 Gruften lagern die Mumien seit mehr als 1.600 Jahren. Die Stadt lebt vom Weinanbau und Honigmelonen. Menschen, in Maoblau gekleidet, barfuß, schleppen schwere Lasten. Eine Ampel zeigt digital an, wie lange die Rotphase noch währt: 35 Sekunden. Das ist der Fortschritt.

Am Zug gibt der Gruppensprecher der Leserreise dem Personal die Anweisung, Fenster zu putzen: „Damit unsere Fotos was werden.“

Duhang – unser nächster Bestimmungsort. Hier teilte sich die Seidenstraße in eine südliche und eine nördliche Route. Ein kleines Museum erzählt von Kaufleuten und ihren Karawanen. Von Wassermangel, Sandstürmen und Wegelagerern bedroht, war ihnen das Jenseits stets so nahe, daß sie einen Teil ihrer Gewinne wie selbstverständlich den buddhistischen Mönchen spendierten. Die Buddhahöhlen überdauerten Wind und Wetter. Vor 30 Jahren war Duhang nicht mehr als ein unbedeutendes Dorf mit 300 Einwohnern. Heute schiebt es sich aus allen Himmelsrichtungen aus dem Wünstensand empor. Stahlwerke und Ölraffinerien wurden hochgezogen, die Stadt hat 110.000 Einwohner. Hier gibt es ein Kaufhaus, das Bananenchips, Füllfederhalter und Kochtöpfe führt. Die Verkäufer stehen desinteressiert an den Kassen. Niemand kauft, draußen ist Markt.

So selten sitzt hier eine weiße Frau rauchend im Rinnstein, daß zwei kleine Jungs sich trauen, meine Nase zu vemessen. Zuerst greifen sie sich in die Nasenlöcher, dann muß ich es tun. Anschließend vergleichen wir. Die Weißnase ist bloß ein Fingerglied länger. Wir lachen viel und verstehen wenig.

Hier im Tarim-Becken geschah vor mehr als 1.500 Jahren etwas sehr Unerhörtes. Eine chinesische Prinzessin vom kaiserlichen Hof in China schmuggelte in ihrer aufgetürmten Frisur die Eier einer Seidenraupe. So gelang das Geheimnis der Seide zunächst hierher und kam irgendwann einmal nach Europa. Auf den Verrat des Seidengeheimnisses stand der Tod.

Noch heute läßt das Regime gerne hinrichten. Beim Tee erzählt Herr Yan, der Dolmetscher, vergangene Woche erst sei ein Bankräuber in Peking öffentlich hingerichtet worden. „Diese Abschreckung ist nötig“, meint Herr Yan, „in diesem Jahr gab es bereits drei Banküberfälle. Man kann sich in Peking nicht mehr sicher fühlen.“ Herr Yan hat nicht nur Propaganda im Kopf. Er zeigt auf die Reisfelder, die draußen am Fenster vorbeiziehen. „Eine Katastrophe von Menschenhand haben die Kommunisten aus der Landwirtschaft gemacht.“ Mao hatte den Bauern eine Monokultur verordnet. Weizen und Reis wurden angebaut, Baumwolle war verboten, Obstbäume wurden gefällt. Damals, vor gut 20 Jahren, als die Kulturrevolution ausklang, saß Herr Yan, Sohn einer Bäuerin, die nicht lesen und schreiben gelernt hatte, auf der Schulbank und paukte Deutsch. Von der Kulturrevolution hört seine Tochter, die er in eine private Schule schickt, heute kein Wort. „Das ist ein Tabuthema.“

Über viele Dinge können wir beim Tee reden. Zwangsabtreibungen. Die gebe es, zweifellos. Von Frauen erzählt er, die ihre zweite Schwangerschaft bis in den siebten Monat hinein geheimhalten konnten. Die an einem Morgen von einer Polizeistreife abgeholt wurden, denen im Krankenhaus das lebensfähige Kind im Bauch getötet wurde. Herr Yan kennt die Zahlen der Armut, weiß, daß viele Bauernfamilien im Nordosten gerade einmal 200 Yuan (etwa 40 Mark) im Jahr zum Leben haben, weiß um die zunehmende Arbeitslosigkeit gerade bei Jugendlichen. Der Staat gibt im Durchschnitt 40 Yuan pro Kind im Jahr für Schulmittel aus. Herr Yan ist geschlagen mit einem Sack grotesker Probleme und weiß nicht, wie sie gelöst werden können.

Die gemischte Reisegesellschaft macht sich weiter auf Spurensuche in vergangenen Jahrhunderten. Wir besichtigen in dunstiger, kalter Höhe den Jiayu-Paß, das westliche Ende der Chinesischen Mauer. Hinter der Festung begann das barbarische Reich, sagen die Chinesen.

Drei Stunden bewegen wir uns auf dem Kraftfeld der über 1.000 Jahre währenden chinesischen Antike und des Mittelalters: Xian. In Scherben zerfallene Terrakottasoldaten, ramponiert von Rebellenhänden, zerbrochen unter dem Druck des Lößbodens, zusammengesetzt von einem Heer internationaler Archäologen. Niemand weiß, wie man sie konservieren soll. Die Mineralschichten, die den Figuren Farbe verliehen, kann keiner rekonstruieren.

Dann Thermalquellen und Museen. An jeder Station des Touristen-Pilgerwegs kommen Menschen, um mir etwas anzudrehen: Seidenschals, Jadefigürchen, emaillierte Aschenbechern. Jeder Reisende ist ihnen ausgeliefert – bis an den Rand des Nervenzusammenbruchs.

Der letzte Streckenabschnitt. Noch eine Nacht im Zug, und dann sehen wir Peking. Erst nur eine Ansammlung von Ententeichen und kleinen Schlammseen. Dann rückt der Müll heran. Rote, blaue, gelbe Plastikhaufen. Die Farben der chinesischen Kaiser türmen sich an Lehmwänden auf, kriechen an Gemüsebeete heran. Dahinter kantige Hochhaustürme. Das also ist die Stadt, in der sich 15 Millionen drängen. Sie quälen sich als hupendes Chaos durch die Straßen, bugsieren Sofas auf dem Gepäckträger eines Fahrrades, stehen bei McDonald's eine Stunde für ein belegtes Brötchen an. Auf dem Tiananmen-Platz marschieren wir tapfer hinter dem Fähnchen unserer Führerin her. Zwischen jungen Pionieren, krummbeinigen Soldaten und einer Grazie mit Pepita- Käppi suche ich Halt. Smog hängt über dem größten Platz der Erde. Vom Revolutionsmuseum her leuchtet eine Anzeige: In 263 Tagen kommt Hongkong zurück. Ich bin am Ziel.

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