Des Präsidenten letzte Zuckungen

Bei der Stichwahl um das Präsidentenamt in Rumänien könnte Amtsinhaber Ion Iliescu entthront werden. Viele Rumänen bezweifeln, daß sich nach dem Machtwechsel etwas ändert  ■ Aus Bukarest Keno Verseck

Am Ende ist der rumänische Wahlkampf um das Amt des Präsidenten doch noch in einem Sumpf aus nationalistischer Hetze und gewalttätiger Attitüde versackt. Der Noch-Staatschef Ion Iliescu prophezeit angesichts seines drohenden Machtverlustes einen Bürgerkrieg und den Zerfall Rumäniens. Für das Szenario muß wieder einmal die ungarische Minderheit herhalten. Ihre Vertretung, der Verband der Ungarn in Rumänien, unterstützt in der morgigen Stichwahl den Kandidaten der demokratischen Opposition, Emil Constantinescu. Wenn dieser gewinne, so Iliescu, werde sich Siebenbürgen abspalten. Wahlplakate für Iliescu zeigen ein zerfallendes Rumänien. Auf anderen sind die Symbole der Opposition zu einem Hakenkreuz angeordnet.

Der Rest ist trauriges Spektakel: Ein Präsidentenberater versuchte, den Kandidaten der Opposition tätlich anzugreifen, schrie ihm obszöne Flüche zu und machte vor laufenden Kameras das bekannte Zeichen mit dem Mittelfinger. Iliescu redete seinen Gegner in Fernsehdebatten immer wieder mit einer Duzform an, die besonders verächtlich klingt.

Letzter Reflex vor dem Machtverlust? Wie die meisten Staatsmänner der rumänischen Geschichte hat Iliescu die Praxis einer selbstherrlichen Macht kultiviert. Vielen Rumänen galt er als unbesiegbar. Der Mythos zerbrach vor zwei Wochen während der Parlaments- und der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen. Iliescus regierende „Partei der sozialen Demokratie“ verlor ihre Mehrheit an eine Koalition der demokratischen Oppositionsparteien.

Iliescu kam nur auf einen schwachen ersten Platz, dicht gefolgt von Emil Constantinescu, dem Kandidaten des Oppositionsbündnisses „Demokratischer Konvent“. Er nahm es in der Wahlnacht am 3. November mit ungläubigem Staunen hin. Für die Stichwahl hat er die schlechteren Chancen. Laut jüngster Umfrage würde er etwa 47 Prozent der Stimmen erhalten, während Constantinescu auf fast 53 Prozent kommt.

Für Rumänien ist schon die Abwahl der bisherigen Parlamentsmehrheit ein historisches Ereignis: In der Geschichte fanden Regierungswechsel bisher ausschließlich gewaltsam oder auf Anordnung von oben statt. Auch Iliescu manövrierte sich während des gewaltsamen Aufstandes gegen Ceausescu im Dezember 1989 geschickt an die Macht. Im postkommunistischen Rumänien errichtete er ein halbautoritäres, korporatistisches Klientel-Regime. Seine „Partei der sozialen Demokratie“, die ehemalige Funktionäre und Direktoren der Staatsbetriebe vereint, ist mit dem Land wie mit persönlichem Eigentum umgegangen. Die Institutionen des Ceausescu-Regimes blieben unreformiert, Staatsfernsehen und -radio, Justiz und Verwaltung sind dem Präsidenten und seiner Kamarilla weitgehend hörig. Iliescu übte dafür Nachsicht gegenüber organisiertem Verbrechen, jedenfalls solange seine Gefolgsleute darin verwickelt waren.

Wenn auch die Bedeutung des bevorstehenden Wechsels an sich außer Zweifel steht, so wirft die zu erwartende Qualität des Wechsels viele Fragen auf. Die Koalition aus christdemokratisch-liberalem Konvent und den Sozialliberalen der „Demokratischen Partei“, die im neuen Parlament über eine 55-Prozent-Mehrheit verfügen, treten mit populistischen Versprechen an wie etwa Rentenerhöhungen, Steuersenkungen und Kredite für Bauern und Kleinunternehmer. Faktisch aber sind sie gezwungen, drastisch zu sparen, wenn nicht alles so bleiben soll wie bisher. Ein Großteil des Haushaltes wurde bisher als Subvention für die bankrotte, unproduktive Großindustrie verwendet und hat so zu einer hohen Inflation und einer ständigen Vervielfachung der Lebenshaltungskosten geführt. Diese Betriebe müßten geschlossen werden. Hunderttausende neue Arbeitslose wären die Folge.

Um die Millionen ehemaliger Parteimitglieder nicht abzuschrecken und die altneuen Handlanger von Ceausescu und Iliescu nicht von vornherein gegen sich aufzubringen, hat der Präsidentschaftskandidat Emil Constantinescu versprochen, daß es keine „Rache und Säuberungen“ geben werde. Werden also die Post-Securitate-Geheimdienste weiter mit den alten Methoden arbeiten? Constantinescu hat ebenso einen neuen Stil in der Politik und im Staatsapparat versprochen. Im Oppositionsbündnis des Konvents gibt es allerdings mehr als genügend Politiker, die der Korruption verdächtig sind, die ihr Klienteldenken mehrfach unter Beweis gestellt haben. Bleibt es also bei der üblichen Verwaltungswillkür und bei der Korruption im Staatsapparat?

Bei vielen Rumänen herrscht derzeit große Hoffnung und noch größere Skepsis. Vielleicht bleibt das wichtigste Ergebnis der Wahlen das, was der Philosoph und Kulturkritiker Andrei Plesu den „Verlust des Aberglaubens der Macht“ nennt: „Das Wichtigste ist, daß die Leute Regierungen kommen und gehen sehen und nicht mehr in dem Gefühl leben, daß die Macht etwas Ewiges ist.“