„Stecken alle unter einer Decke“

■ Irene Soltwedel schilt beim Rinderwahn auch die eigene Partei

taz: Was tut die EU für die Menschen, die an der neuen Variante des Creutzfeldt-Jakob-Syndroms (CJS) erkrankt sind, die ja offenbar durch den Verzehr von BSE- verseuchtem Rindfleisch übertragen wird?

Irene Soltwedel: Spätestens seit drei Wochen, als der Bericht von John Collinge von der Londoner St. Mary's School veröffentlich worden ist, steht mehr oder weniger fest, daß der Rinderwahn auf Menschen übertragbar ist. Bisher hat sich kein EU-Kommissar für die Sache zuständig erklärt. Agrarkommissar Franz Fischler sagt, er glaube nicht, daß es übertragbar ist. Gesundheitskommissar Padraig Flynn sagt dasselbe. Solange nichts endgültig bewiesen sei, brauche er nichts zu unternehmen, sagt er. Das bringt mich zur Verzweiflung. Ich setze große Hoffnungen auf die Verbraucherschutzkommissarin Bonino. Sie hat mir und der Sprecherin der Angehörigen von CJS-Opfern am Donnerstag versprochen, sich dafür einzusetzen und Forschungsmittel lockerzumachen.

Warum hat das so lange gedauert? Wissenschaftler haben doch schon seit Jahren gewarnt, daß der Rinderwahn auch auf Menschen übertragbar ist.

Die englische Regierung hatte überall ihre Leute plaziert, die aufgepaßt haben, daß möglichst wenig an die Öffentlichkeit dringt. Es ist ein Hammer, daß Millionen in die Subventionen für diese kranken Kühe gehen, die dann oft gar nicht getötet, sondern weiterverkauft werden. Man nimmt die Übertragbarkeit auf Menschen nicht ernst genug. Es gibt 15 Fälle in England, einen in Frankreich, und die Seuche wird sich ausbreiten.

Was unternehmen die Grünen? Man hört da auch nicht allzuviel.

Ich war früher im hessischen Landtag und habe BSE-Politik gemacht. Seit zweieinhalb Jahren sitze ich im Europaparlament und beschäftige mich seitdem weiter damit. Alle reden von den Kühen, aber nicht von den Auswirkungen auf Menschen. Das betrifft auch uns Grüne. Wir haben ja Herrn Baringdorf im Untersuchungsausschuß. Was er da macht, weiß ich nicht. Das Problem ist, daß die Grünen BSE nicht im Zusammenhang mit CJS sehen. Dieser Zusammenhang wird noch immer geleugnet, auch von Baringdorf. Das hängt mit der Agrarlobby zusammen, die auch tief in die Grünen hineinreicht. Ob Grüne, Rote, Schwarze oder Fleischindustrie – sie stecken alle unter einer Decke. Diese Lobby kann nur von außen über den Verbraucherschutz angegangen werden.

Was fordern Sie konkret?

Es muß endlich anerkannt werden, daß es eine Übertragung gibt. Eine Task Force muß her. Bisher wird die Arbeit, die der Staat, die Europa leisten müßte, von den Familien der Betroffenen im Alleingang bewältigt. Die Familien haben eine Informationsbroschüre herausgegeben. Fischler hat so etwas nicht mal für Landwirte bewerkstelligt. Das Thema muß aus Fischlers Bereich weg. Ich hatte im Sommer die Angehörigen zur Pressekonferenz im Europaparlament. Als ich Fischler mit ihnen bekannt machen wollte, sagte er, ich solle doch damit aufhören, ich sei doch bloß den Journalisten aufgesessen. Das sagt der vor den Angehörigen. Ich könnte platzen.

Interview: Ralf Sotscheck