Rauschen ohne Rauschhaftigkeit

■ Ein ermüdendes Gottfried-Benn-Symposium ging im Literaturhaus über die Bühne

„Am schlimmsten: / nicht im Sommer sterben, / wenn alles hell ist / und die Erde für Spaten leicht.“

Dieser Befürchtung entging Gottfried Benn 1956 mit einem souveränen Juli-Tod. Vielleicht aber am allerschlimmsten: Nach einem gelungenen Tod weiter im Weltlichen verfügbar zu sein und in periodischen Abständen auf Kritiker-Meetings ausgedeutelt zu werden. So geschehen am Freitag im dafür hörsaalartig umgestylten Literaturhaus, wo sich anläßlich seines 110. Geburtstages eine Vielzahl von Benn-Bewunderern, hauptsächlich älteren Semesters, versammelte.

Die thematische Beschränkung des Gedenkhappenings auf die „absolute Prosa“ und Benns Idee des „Phänotyps“ sowie eine niedliche Zweiteilung in einen „medizinischen“ und einen „literarischen“ Teil konnten aber oft ein schwammiges Ausufern der Beiträge nicht verhindern. Zunächst geschah das vor allem durch wenig prickelnde Versuche, hirnforscherische Ansätze auf Benns „Rönne-Prosa“ zu übertragen: Die Beobachtungen der Medizinmänner und -frauen verblieben meist im Halbdunkel semiwissenschaftlicher Freizeithermeneutik.

Zwar diagnostizierte die Psychiaterin Gabriele Stolz bei dem ambivalenten Dichter-Arzt oder Poeten-Doktor recht stringent ein „Burn Out Syndrom“. Aber vor allem die unspektakulären Ausführungen zum Thema „Rausch“ der Psychotherapeutin Monika Koch berauschten in ihrer gestelzten Präsentation gar nicht und attraktivierten eher die anschließende Pause.

Die Hoffnung auf weniger Zerfahrenheit im „literarischen“ Teil enttäuschte sich schon bald. Abgesehen von weiteren Rezitationen aus dem Bennschen ×uvre, vorgetragen von Hans Zischler und Peter Rühmkorf, sowie einem seltsamen Fernsehinterview mit dem griesgrämigen Meister selbst, wurde auch im weiteren Verlauf des sich ins Nächtliche ausdehnenden Symposiums vor allem eines deutlich – die Tendenz zur Undeutlichkeit.

Obwohl Helmut Lethen mit einer interessanten Historie einer postnazistischen „Amorphisierung“ Benns Spannung erzeugte, blieb Verschwommenheit die Regel, und besonders Klaus Theweleits langatmig-zerfranste Theorie einer „Körperautobiographie“ stimmte eher schläfrig.

Aufwecken tat dann die Empörung von Teilen des Publikums aufgrund des Spontanent-schlusses der Vortragenden, die angekündigte Abschluß-Podiumsdiskussion zu streichen. Der Erfolg der grotesken Protestaktion erbrachte schließlich neben dem skurrilen Anblick des in erzwungener Debatte versammelten Exegetenteams auch noch die Einmischung der ebenfalls anwesenden Tochter Gottfried Benns, Nele Sörensen, die Tröstliches verkündete: „Er war auch ein netter Mann.“

Deshalb: Gott friede Benn – bis zum nächsten Mal.

Christian Schuldt