„Der Atom-Ausstieg ist kein individuelles Thema“

■ Wilfried Voigt nimmt in der taz erstmals Stellung zu Vorwürfen seiner Parteifreunde

Die Kritik einiger Grüner an der Stellungnahme des Ministeriums zum Backhaus-Verfahren geht am Problem vorbei, wenn die Beurteilung des Ermittlungsdefizits im konkreten Gerichtsverfahren mit den Erkenntnislücken in der Leukämieproblematik verwechselt wird. Es ist abenteuerlich so zu tun, als könne die Behörde eine vorhandene Aktenlage, die dem Gericht aus vorangegangenen Verfahren vorliegt, durch schlichten Meinungswechsel einfach umdrehen.

Ich räume allerdings ein, daß wir es versäumt haben in unserer Stellungnahme zu betonen, daß das AKW Krümmel als mögliche Verursacherin der Leukämie nicht freigesprochen ist und welche weiteren Untersuchungen durchgeführt werden sollen. Die Konsequenz aus diesem Lapsus lautet: Im Energieministerium wird zukünftig eine intensive Diskussion darüber stattfinden, wie juristische Schriftsätze und Stellungnahmen zukünftig aussehen sollen. Dabei muß frühzeitig das Konzept klar sein und jeder Zeitdruck vermieden werden. Nur so kann es uns gelingen, die administrativ-juristischen Möglichkeiten konsequent auszuschöpfen.

Ich sehe aber nicht, daß die Ausstiegsbemühungen um Jahre zurückgeworfen und juristische Türen verschlossen wurden. Es ist reine Spekulation, daß das Gericht bei einem anderen Schriftsatz der Behörde zu einem anderen Beschluß gekommen wäre. Immerhin gab es drei Stellungnahmen der beteiligten Parteien, die die Richter zu bewerten hatten.

Immer deutlicher wird für uns die Notwendigkeit, das höchstrichterlich formulierte Besorgnispotential durch neue Erkenntnisse und Zusammenhänge auszufüllen, was gerade Gegenstand der beabsichtigten Gutachten zur Strahlenbiologie und zur Anlagentechnik ist. Indizien allein reichen für eine Stillegung von Krümmel nicht.

Über die bisher benannten Gutachten hinaus muß die Genehmigungssituation präzise aufgearbeitet werden – dies gilt nicht nur für Krümmel, sondern bundesweit. Wichtig ist eine gründliche Aufarbeitung des Bundesverwaltungsgerichts-Urteils vom August dieses Jahres und die Diskussion der daraus zu ziehenden Konsequenzen.

Vordringlich ist jetzt aber, aus der Sackgasse herauszukommen, in der die alleinige Verantwortung auf die Person des Staatssekretärs projiziert wird. Der Ausstieg ist kein individuelles Thema und auch nicht nur das einer Partei. Er muß beständiges Thema der gesamten Koalition im Dialog mit der Anti-AKW-Bewegung sein. Dabei müssen die jeweiligen Möglichkeiten und Grenzen produktiv aufeinander bezogen werden. Davon sind wir heute leider noch weit entfernt.