Weder Charisma noch Konzepte

Unabhängige Kandidaten, ein knackiges Wahlprogramm und große Harmonie sollen die Statt Partei wieder in die Bürgerschaft hieven  ■ Von Florian Marten

„Wir werden mit mehr Abgeordneten in die Bürgerschaft ziehen als 1993! Wir werden laufend besser!“ Der frisch gekürte Parteichef Klaus Wieser, 59, brachte am Ende der erstaunlich gut besuchten samstäglichen Statt Partei-Mitgliederversammlung im Bürgerhaus Wilhelmsburg sogar so etwas wie eine kämpferische Pose zustande. Begeisterung löste der biedere Wandsbeker Wirtschaftslehrer dennoch nicht aus. Ein Landesvorständler: „Ein Traumkandidat ist er sicher nicht. Wir müssen nehmen, was wir kriegen können.“ Mit 48 von 84 Stimmen bekam Wieser denn auch nur eine matte Zustimmung.

Manche BerichterstatterIn auf der Pressebank lachte sich angesichts des bemitleidenswerten Zustandes der Statt-Spitzen denn auch fast kaputt, andere schüttelten nur fassungslos den Kopf. Der neue Parteiführer, der Kassenwart und der größte Teil der Debattenredner hatten allesamt Mühe in ganzen und einwandfreien Sätzen klare Gedanken auszudrücken. Kompetenz, Charisma oder gar Konzepte? Fehlanzeige.

Für das kleine Häuflein von Statt-Strategen, allen voran das ehrgeizige Jung-Yuppie-Trio Becker/Steinsieck/Tolksdorf mit dem glanzvoll wiedergewählten 25jährigen Parteivize André Becker (82 Prozent Ja-Stimmen), war die Mitgliederversammlung dennoch ein voller Erfolg. Becker: „Das Feeling von 1993 kommt wieder hoch – auf die Etablierten einprügeln, es trotz allem schaffen.“ Schließlich waren immerhin knapp 100 der noch 240 Statt-Mitglieder gekommen – der beste Besuch seit langem. Auch die wilde Lust auf Selbstzerfleischung, sonst Duftmarke von Statt-Demokratie, wich am Samstag einem fast einmütigen Blick nach vorn.

Und wenigstens hier ist Ex-Sozi Wieser ganz in seinem Element: „Zusammenarbeit ist unser oberstes Prinzip.“ Zusammenarbeit mit der SPD, Zusammenarbeit mit der Bürgerschaftsgruppe, Zusammenarbeit von Bezirken und Landesvorstand – ganze 17 Mal flocht Wieser das Wort „Zusammenarbeit“ in seine dreiminütige Dankesrede für die Wahl zum neuen Landeschef.

Erfolgreich hatten die Strategen der neuen Statt-Seriosität zuvor den Vorstoß des Statt-Bürgerschaftsabgeordneten Georg Berg abgewehrt, der selbst Parteichef werden wollte. Doch auch für Berg wurde keine Ausnahme bezüglich der Unvereinbarkeit von Parteiamt und Mandat gemacht. Berg wollte die Statt Partei nach dem Motto „Zurück zu unseren Anfängen!“ als unabhängigen Bürgerclub von nur sich selbst verantwortlichen Abgeordneten führen, der nur „die richtigen Fragen stellt“, aber keine „fertigen Lösungen“ anbietet. Wieser, Becker & Co arbeiten hingegen daran, den Statt-Haufen in eine richtige Partei zu verwandeln.

Ein Grundsatzprogramm soll im Dezember verabschiedet werden und so – eine absolute Novität – der Partei erstmals inhaltliche Konturen verleihen.

Entscheidender dürfte aber sein, ob der Coup gelingt, mit unabhängigen Kandidaten auf der nächsten Bürgerschaftsliste die eigene Personalschwäche in einen wahlentscheidenden Vorteil umzumünzen: Tatsächlich haben einige Funktionäre von Handels- und Handwerkskammer bereits Unterstützung bei der Kandidaten-Suche signalisiert. Ähnlich wie heute die parteilosen Statt-Senatoren Erhard Rittershaus (Wirtschaft) und Wolfgang Hoffmann-Riem (Justiz) sollen Unabhängige für einen äußeren Anschein von Kompetenz und politischem Profil sorgen.

Ob dieser Plan aufgeht, muß sich freilich erst noch zeigen: Während Becker auf ein gemäßigt liberales Protest-Profil und erneutes Mitregieren setzt – er will sogar die Forderung nach der Liberalisierung weicher Drogen ins Statt-Wahlprogramm aufgenommen wissen –, ist die Basis von Statt Partei mittlerweile deutlich rechtsaußen der FDP angesiedelt wie eine detaillierte Mitgliederbefragung gezeigt hatte. Der unterlegene Kandidat Georg Berg will den Optimismus der Parteimehrheit nun nicht teilen: „Das Kind Statt Partei ist entscheidend krank. Die Situation ist dramatisch.“