In fremder Erde Ablösung von zu Hause

Für die türkischen ArbeitsimmigrantInnen wird Beerdigtsein in Deutschland zum Thema  ■ Von Eberhard Seidel-Pielen

Ein Flugzeug startet, schwebt durch die Lüfte und landet sanft auf einem Rollfeld in der Türkei. Die Szene ist von arabischer Musik untermalt. Mit einer dem Thema angemessenen Würde und Feierlichkeit bietet Volkan Çoșkun in einem Werbespot türkischsprachiger Fernsehprogramme seine Dienste an. Çoșkun ist bei Grieneisen, dem größten Beerdigungsinstitut Berlins, der Fachmann für islamische Bestattungen und Überführungen in die Türkei. Lange Zeit verdrängt, wird der Tod nun auch für Arbeitsemigranten zu einem Thema.

Jeder Bundesbürger geht mindestens einmal im Monat seine Familienangehörigen auf dem Friedhof besuchen. Einen vergleichbaren Totenkult gibt es unter den zwei Millionen türkischen Einwanderern nicht – die verstorbenen Familienangehörigen liegen weit entfernt in der alten Heimat begraben. Sterben war in der Migration nicht vorgesehen. „Der ,Tod‘ wird in das Herkunftsland überführt, dorthin verbannt. Er darf in der Migration nicht existieren, denn die Migration gilt als Zwischenstadium“, so erklärt der Hannoveraner Soziologe Dursun Tan den wirtschaftlichen Erfolg des „Grieneisen Islam Cenaze Servisi“ (Islamischer Beerdigungsservice).

Das ändert sich. 35 Jahre nach Beginn der Einwanderung aus der Türkei leben bereits über 50.000 türkischstämmige Rentner in Deutschland. Bald werden es über 100.000 sein. Der Tod in der Fremde ist für die 2,5 Millionen Türkisch- und Arabischstämmigen zu einem Thema geworden, das nicht mehr zu verdrängen ist.

Der wichtigste Schritt, sich ans Land zu gewöhnen

Die Entscheidung für ein Begräbnis in fremder Erde ist „vielleicht der entscheidenste Schritt im langen Prozeß, sich an das neue Land zu gewöhnen“. Das zeigen der Islamwissenschaftler Gerhard Höpp und die Religionswissenschaftlerin Gerdien Joker, die sich mit „der islamischen Bestattung in Deutschland“ umfassend beschäftigten. „Wer sich entscheidet, den eigenen Körper dahin zu betten, bindet die nachfolgenden Generationen an dieses Stück Erde.“ Unter diesem Blickwinkel betrachtet, ist die Integration der türkischen Einwanderer in die deutsche Gesellschaft nicht allzuweit gediehen. Bisher wurden die Verstorbenen zu 95 Prozent in ihre Heimat, die Türkei, überführt.

Die Gründe dafür sind vielfältig. Dursun Tan meint, die Überführung der Verstorbenen ins Herkunftsland drücke für die Angehörigen den Wunsch aus, die Migration wenigstens symbolisch zum Abschluß zu bringen. Zumindest im Tod sollen die Familien nach Jahren der Trennung wieder vereint sein. Der wesentliche Grund für die zahlreichen Überführungen ist profaner. Deutschland ist nicht auf das interkonfessionelle Sterben vorbereitet: Es gibt keine islamischen Friedhöfe. Eine Ausnahme ist der Friedhof am Columbiadamm in Neukölln, dessen Geschichte bis ins Ende des 18. Jahrhunderts zurückreicht, als König Friedrich Wilhelm II. nach dem Tod des osmanischen Gesandten Ali Aziz Efendi im Jahr 1798 ein Geländestück zur Verfügung stellte, um eine Beerdigung nach islamischem Ritus zu ermöglichen. Neben dem islamischen Friedhof in Berlin gibt es in der Bundesrepubklik nur 17 islamische Grabfelder auf kommunalen Friedhöfen.

In ihrem faktenreichen Beitrag verweist die Berliner Landschaftsplanerin Gesa Kokkelink darauf, daß Muslime derzeit keine konfessionellen Friedhöfe gründen können. Das hat allerdings nichts mit Diskriminierung seitens der deutschen Gesellschaft zu tun. Der Grund liegt in der vom Christen- und Judentum unterschiedlichen Organisation des Islam. Ihm fehlt eine etwa der evangelischen oder katholischen Kirche vergleichbare institutionelle Struktur. Für die mehr als 1.000 Moscheen in Deutschland gibt es keinen „Kirchendachverband“, sondern sie werden von zahlreichen Moscheenvereinen betrieben. Die Folge: Die Glaubensgemeinschaft des Islam ist aus diesem Grund noch nicht als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt.

Bestattungen nach islamischem Ritus stehen zum Teil in Widerspruch zu geltenden Satzungen der kommunalen Friedhöfe. So wird das im Islam geforderte „ewige Ruherecht“ in Deutschland grundsätzlich nicht gewährt, sondern, je nach Friedhofssatzung, nur eine gesetzliche Ruhezeit von 8 bis 25 Jahren, die natürlich gegen entsprechende Gebühr verlängert werden kann.

Unwissen hat auf seiten der Türken oft zu Mißverständnissen und Empörung geführt, als sie plötzlich feststellten, daß die Gräber ihrer Angehörigen eingeebnet werden sollten. Für Muslime ist eine Einebnung der Gräber zumindest nach dem Koran nicht zu akzeptieren. Für sie ist der Friedhof der Ort, an dem die Toten mit Blick nach Mekka bis zum Jüngsten Tag auf die Auferstehung warten.

Auch die religiöse Vorschrift, die Toten, nur in ein Leinentuch gehüllt, innerhalb eines Tages zu beerdigen, steht im Widerspruch zu geltendem Recht. Hierzulande dürfen die Toten frühestens nach zwei Tagen beerdigt werden. Aber das, so gibt Gesa Kokkelink zu bedenken, ist für strenggläubige Muslime inzwischen kein Dogma mehr, da die klimatischen Bedingungen in Deutschland andere sind als in den traditionellen islamischen Ländern.

An anderer Stelle zeigen sich die bundesdeutschen Behörden bisweilen entgegenkommender. Auf den kommunalen Friedhöfen in Aachen und Essen ist inzwischen eine Bestattung ohne Sarg offiziell möglich, weil als hygienisch unbedenklich eingestuft.

Der Volkskundler Hartmut Heller stellt in einem historischen Streifzug muslimische Grabstätten in Deutschland vor, die bis ins 14. Jahrhundert zurückreichen. Wer kennt zum Beispiel die Orte, an denen die vielen Gefangenen – Männer, Frauen, Kinder – der christlichen Truppen während der Türkenkriege im 17. Jahrhundert, die als sogenannte „Beutetürken“ nach Deutschland verschleppt wurden, begraben liegen? Hartmut Heller berichtet, was aus diesen zwangsgetauften „Beutetürken“ in deutschen Landen wurde. So machte ein Pressefoto 1992 im Nürnberger Raum den „Türken von Rügland“ neu bekannt. Auf dem Grabkreuz steht: „Hier ruht in Gott Carl Osman / ward geb. in Constantinopel 1655 / vor Belgrad gefangen 1688 / zu Rügland getauft 1727 / in diensten gestanden 47 Jahr, starb 1735 alt 80 Jahr.“

Nicht alle hatten damals soviel Glück wie der Kammerdiener Osman am Crailheimschen Schloß, zu dessen Beerdigung 925 Menschen kamen. Nicht ganz uneigennützig freilich, denn jeder Trauergast, so der letzte Wille Carl Osmans, erhielt 5 Kreuzer.

Recht makaber wird der Gang durch die Geschichte, wenn Hartmut Heller andere Dokumente aus der Zeit der „Türkenkriege“ zitiert: „Zur Leipziger Neujahrsmesse 1684 brachten Händler ganze Fässer voll ,Türkenköpfe‘ mit, die vom Wiener Septemberschlachtfeld stammten, und für vier, sechs, acht Reichstaler das Stück verkauften.“

Gerhard Höpp, Gerdien Jonker (Hrsg.): „In fremder Erde. Zur Geschichte und Gegenwart der islamischen Bestattung in Deutschland“. Verlag das Arabische Buch, Berlin 1996, 160 Seiten, 38 DM