Menschen unter eingestürzten Mauern begraben

■ Mindestens 22 Tote bei Explosion in Daghestan. Rußlands Kommunisten machen Tschetschenen für Katastrophe in der Kaukasusrepublik verantwortlich

Moskau (taz) – Bei der Explosion in einem achtstöckigen Wohnhaus in der russischen Kaukasusrepublik Dagestan wurden in der Nacht zu Sonnabend mindestens 22 Menschen getötet. Mitarbeiter des russischen Notstandsministeriums, die aus Moskau einflogen, um die Rettungsarbeiten zu leiten, rechnen indes mit weiteren Opfern. Bisher konnten erst 55 von insgesamt 90 Einwohnern, die sich zum Zeitpunkt der Detonation im Haus befunden haben sollen, aus den Trümmern geborgen werden.

Fast ein Drittel der Verschütteten sind Kinder. Die Rettungsarbeiten in der Stadt Kaspisk finden unter erschwerten Bedingungen statt. Bislang verzichteten die Hilfstrupps auf den Einsatz schweren Geräts, weil sie unter dem Schutt weitere Sprengsätze vermuten.

Erste Mutmaßungen sprechen von einer Explosionsstärke, die etwa 15 Kilogramm TNT entspricht. Die Sprengladung wurde im Keller des Hauses gezündet. Dort wohnten russische Grenzsoldaten mit ihren Familien. Selbstverständlich förderte das umgehend Spekulationen, der Terrorakt ginge auf das Konto der Nachbarrepublik Tschetschenien.

Der kommunistische Vorsitzende des Sicherheitsausschusses der Duma, Viktor Iljuchin, sah in Kaspisk sofort tschetschenische Terroristen am Werk, die den Friedensprozeß in Grosni unterminieren wollten. Die Kommunisten indes zählen ihrerseits nicht zu den Befürwortern des Friedensabkommens, weil sie Rußlands imperiale Interessen verletzt glauben. Im Laufe der Friedensverhandlungen seit Sommer 95 kam es wiederholt zu Provokationen, deren Urheber zwar nie dingfest gemacht wurden, deren Heimat man aber in der „Kriegspartei“ in Moskau vermutete.

Ungeachtet des Terrorakts einigten sich Rußland, vertreten durch den Sekretär des Sicherheitsrates Iwan Rybkin, und die tschetschenische Seite am Wochenende auf weitere Maßnahmen, die den Frieden sichern und Ende Januar allgemeine Wahlen in der Kaukasusrepublik vorbereiten sollen. Desgleichen kündigte auch der von Moskau in Grosni eingesetzte Vasall, Präsident Doku Sawgajew, seinen Rücktritt an. Er hatte bis zuletzt eine Einigung mit den tschetschenischen Separatisten torpediert.

Noch gibt es keine Beweise für ein politisches Motiv des Anschlags. Zöllner des kaukasischen Grenzgebiets schließen auch nicht aus, daß die Mafia ihre Hände im Spiel hat. In den vergangenen Wochen sei es Grenzsoldaten geglückt, Valuta und Kaviar in nennenswerten Mengen sicherzustellen... Klaus-Helge Donath