Die Burg, das Elend etc.
: Theater zum Mitlesen

■ Werbeschmäh der Peymannschaft: Ohne den Chef selbst bestimmt „Gspaßiges“ den Spielplan der Wiener Bühnen

Wenn Claus Peymann andere Meisterregisseure des deutschen und europäischen Theaters zum edlen Wettstreit an die Wiener Burg holt, verbreitet das größte kontinentaleuropäische Sprechtheaterunternehmen tatsächlich etwas von dem Glanz, den die imperiale Zuckerbäckerarchitektur des Hauses dem unbedarften Besucher verspricht. Was aber geschieht an all den langen Abenden dazwischen, in den Wochen, in denen Benjamin Henrichs nicht anreist? Es entweichen Traditionalisten, Abonnententröster, outrierende Publikumslieblinge und all jene aus dem Fundus, die die Direktion dorthin weggesperrt hat.

Der Gegensatz zwischen altem und „neuem“ Burgtheater, der nach zehn Jahren noch immer in der Wiener Boulevardpresse breitgetreten wird, ist Werbeschmäh der Peymannschaft. Alles Trug, alles Konsens. Im österreichischen Nationaltheater herrscht, wie im ganzen Land, eine große Koaliton zwischen zwei Lagern, die eigentlich nicht miteinander können. Trotz markiger Worte des Chefs verfügt die seit zehn Jahren unterlegene alte Partei weiter über die absolute Mehrheit im Spielplan.

Ein Wochenende im November ist in der Lage, die Illusionen zu zerstören, die sich teutonische Romantiker gemeinhin von der Gralsburg des deutschsprachigen Theaters machen. Dieter Giesing inszenierte am Akademietheater Strindbergs „Todestanz“ in neuer Übersetzung ohne neuen Geist. Achim Benning, Peymanns Vorgänger als Burgtheaterdirektor, eröffnet tags darauf am Haupthaus mit Lachsalven bei Nestroys „Ein Jux will er sich machen“ dem Mittelmaß eine zweite Front.

Giesings verschnarchtes Bildungstheater ist trotz Protagonisten wie Kirsten Dene und Hans Michael Rehberg nicht einmal in der Lage, in Strindbergs selbstzerfleischendem Beziehungsdrama Beziehungen und Situationen zu etablieren. Theater allenfalls zum Mitlesen. Die pure Konzeptionslosigkeit, der Verzicht auf jede Haltung versteckt sich hinter einem „werkimmanenten“ Regieansatz, dem Anspruch, daß ein Text, wenn er nur adäquat gesprochen wird, alle Interpretationsebenen von selbst eröffnet. Die Inszenierung als Dialogregie – Peter Zadek kann so etwas, zweimal im Monat läßt sich das anhand des „Kirschgarten“ im Akademietheater nachvollziehen, und Jürgen Flimm. Der Rest ist Schweigen. Man soll Strindberg lieber jugendlichen Zerstörern überlassen.

Wem aber gehört Nestroy? Da gibt es einen glühenden Revolutionär von 1848 und erstrangigen Dramatiker der Weltliteratur, der außerdem noch brechend komisch ist. Diese einmalige Konstellation hat sonst in Europa noch nicht einmal die irische Literatur hervorgebracht. Zu Hause in Wien werden die Theaterfiguren des Johnann Nepomuk Nestroy allerdings zu liebenswürdigen Buffo-Nummern. Die Verrenkungen, mit denen sich der „Schani“ damals an der Zensur im Biedermeier vorbeigemogelt hat, geraten hier zur Hauptsache, „gspaßige“ Volkstümlichkeit in einem synthetischen Dialekt, der weder die Sprache des Volkes riskiert noch die Verbindlichkeit der „ernsten“ Theatersprache eingeht.

Auf die verblichenen virtuosen Nestroy-Spieler, die das Burgtheater gesehen hat, kann sich der Heimatabend der hausinternen Opposition von Achim Benning und seinem Protagonisten Karlheinz Hackl (wollte auch einmal Burgtheaterdirektor werden) nicht berufen, zu schlampig gesetzt die Pointen, zu unübersehbar die Outrage des Hauptdarstellers, zu anbiedernd das stillschweigende Einvernehmen mit dem Publikum darüber, daß man den Humor erfunden hat und die anderen „deppert“ sind. Zur Tradition verhält sich dieses Theater wie „Volksmusik“ zur Folklore. Hackl ist Karl Moik für die gebildeten Stände.

Die Zettels, die Malvolios und die Bleichenwangs gehören der Welt und sind keine südenglische Regionalschnurren. Zu Nestroy bedarf es aber, so hört man, der genetischen Prädisposition. Nur im „Wiener Blut“ komme der „Gspaß“-Faktor richtig in Wallung. Das Volkstümliche streift gelegentlich haarscharf das Völkische. „Sind halt gspaßige Leut'.“ Ute Mattheiß