Jubel wie beim Sturz von Ceaușescu

Zehntausende feiern den Sieg des Christdemokraten Emil Constantinescu bei den Präsidentenwahlen in Rumänien. Damit ist der erste demokratische Machtwechsel in dem Balkanstaat perfekt  ■ Aus Bukarest Keno Verseck

Es war eine Stimmung wie vor sieben Jahren beim Sturz des Diktators Ceaușescu: In der Nacht vom Sonntag zum Montag feierten Hunderttausende Rumänen im ganzen Land den Wahlsieg des neuen Staatspräsidenten Emil Constantinesu und die Niederlage des Exkommunisten Ion Iliescu, der seit dem Dezember 1989 ununterbrochen an der Spitze des Landes stand. Vorläufigen Ergebnissen zufolge erhielt Constantinescu 55,15 Prozent der Stimmen, Iliescu kam auf 44,85 Prozent.

Allein in Bukarest gingen am Sonntag um Mitternacht Zehntausende auf die Straßen. Sie jubelten bis in die frühen Morgenstunden mit Rufen wie „Sieg!“, „Befreiung von den Kommunisten und dem Iliescu-Regime!“ oder „Ol, ol, ol, Iliescu ist nicht mehr!“. Auf dem Bukarester Universitätsplatz eröffneten Studenten symbolisch wieder den Balkon eines Fakultätsgebäudes. Von hier aus hatten im Frühjahr 1990 Teilnehmer einer antikommunistischen Dauerkundgebung geredet und den Rücktritt Iliescus verlangt. Im Juni 1990 rief der damals gerade gewählte Staatspräsident 12.000 Bergarbeiter in die Hauptstadt, die die Kundgebung brutal beendeten und mehrere Menschen zu Tode prügelten.

Ein Geist der Rache herrschte in der Nacht nach dem Wahlsieg unter den Feiernden dennoch nicht. Auch Constantinescu wandte sich in einer ersten Rede gegen „Hexenjagden, Intoleranz und Säuberungen“. „Wir sind nicht an die Macht gekommen, um uns zu rächen, sondern um gemeinsam einen Ausweg zu finden, nicht um zu zerstören, sondern um aufzubauen“, sagte Constantinescu. Sein Wahlsieg, so der neue Staatspräsident, sei „nur in geringem Maße mein Sieg und in großem Maße der Sieg von Millionen Rumänen“, die sich „eine wirkliche Demokratie, eine gesundere Wirtschaft und ein besseres Leben“ wünschten.

Mit solchen Worten war es dem neuen Staatspräsidenten schon in der Wahlkampagne gelungen, zu überzeugen. Laut Umfragen sehen viele Rumänen den 57jährigen Geologieprofessor und ehemaligen Rektor der Bukarester Universität weniger als guten, denn als menschlichen Politiker, der ihre Sorgen versteht. Vor vier Jahren, als Constantinescu zum ersten Mal als Präsidentschaftskandidat antrat, war er nahezu unbekannt und hinterließ selbst unter seinen wenigen Anhängern den Eindruck eines scheuen, linkischen Akademikers, der als Politiker ungeeignet ist. Etwas von dieser Aura haftet ihm noch immer an, obwohl er in der diesjährigen Wahlkampagne sichtlich an Format, Redetalent und Überzeugungskraft gewann.

Noch vor wenigen Wochen galt sein Wahlsieg als keineswegs sicher. Viele Rumänen waren sogar fest überzeugt, daß der abgewählte Staatspräsident Ion Iliescu unbesiegbar sei. Iliescu selbst sagte in der Nacht von Sonntag auf Montag, daß er im ersten Wahlgang von seinem Sieg überzeugt gewesen sei, sich aber dann auf die Niederlage vorbereitet habe. Neben dieser Ehrlichkeit bewies Iliescu auch zum ersten Mal demokratische Eleganz: Während unter seinen Wahlkampfmitarbeitern Sprachlosigkeit herrschte, erkannte Iliescu seine Niederlage an und gratulierte dem Sieger – in knappen, klaren Worten und ohne seine berühmtes Dauerlächeln. Keno Verseck

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