Inszenierte Protestdemonstrationen

Wegen der Anschuldigungen gegen Teheran im „Mykonos“-Prozeß fordern iranische Hardliner den Abbruch der Beziehungen zu Deutschland. Die Führung setzt auf Diplomatie  ■ Aus Berlin Thomas Dreger

Während in der deutschen Botschaft in Teheran Krisensitzungen stattfinden, bleiben deutsche Geschäftsvertreter in der iranischen Hauptstadt eher gelassen. „Es gibt einzelne Leute, die hier kalte Füße bekommen“, sagt ein deutscher Handelsvertreter am Telefon, „aber die, die schon etwas länger hier sind, halten das alles für persischen Theaterdonner.“

Seit in der vergangenen Woche in Berlin Vertreter der Bundesanwaltschaft ihr Plädoyer im „Mykonos“-Prozeß gehalten haben, herrscht auf oberer Ebene Eiszeit zwischen Deutschland und Iran. Rund 2.000 angeblich aufgebrachte Studenten demonstrierten am Sonntag vor der deutschen Botschaft in Teheran und bewarfen das Gebäude mit Eiern und Tomaten. 500 Polizisten bildeten einen Kordon um die Botschaft und hinderten die Demonstranten, die deutsche Fahne abzureißen.

Die iranische Presse fordert derweil Konsequenzen für die von Vertetern der Bundesanwaltschaft formulierte Beschuldigung, die Auftraggeber für den Mord an vier oppositionellen iranischen Kurden 1992 in dem Berliner Restaurant „Mykonos“ säßen ganz oben in der iranischen Staatsführung. Wie diese Konsequenzen aussehen sollten, schrieb am deutlichsten die Zeitung Kayhan. Das Irans religiösem Führer Ali Chamenei nahestehende Blatt forderte, die diplomatischen Beziehungen zu Deutschland abzubrechen.

Ausländische Beobachter in Teheran sind sich einig, daß die Protestkundgebungen vor der Botschaft inszeniert sind. „Die Studenten bekommen morgens den Befehl, daß sie zur Botschaft gehen sollen“, meint ein in Teheran lebender Deutscher. „Freiwillig würde da keiner demonstrieren, sondern viel lieber in der Schlange vor der Visaabteilung stehen.“

„Hier weiß man nie so genau, was ernst gemeint ist“, meint ein ein in Teheran akkreditierter Journalist. Vermutlich werde die iranische Führung in den nächsten Tagen ihren Botschafter in Bonn, Hossein Moussavian, zum Rapport bestellen: „Um zu demonstrieren, daß man etwas unternimmt – aber ohne das Verhältnis zu Deutschland ernsthaft zu gefährden.“ Beobachter in Teheran halten die Attacken in Richtung Bonn für Teil eines Machtkampfs innerhalb der iranischen Führung. Im nächsten Sommer wird in der Islamischen Republik ein neuer Staatspräsident gewählt. Dem im westlichen Ausland als „Pragmatiker“ gehandelten Ali Akbar Haschemi Rafsandschani verbietet die Verfassung nach zwei Amtsperioden eine erneute Kandidatur. Wahrscheinlichster Nachfolger ist der derzeitige Parlamentspräsident Ali Akbar Nateq Nuri. Der versucht sich seit Monaten als Hardliner zu profilieren. Am Samstag drohte er als Reaktion auf den „Mykonos“-Prozeß, die Bundesregierung vor einem internationalen Gericht zu verklagen – wegen deutscher Hilfe beim Aufbau des irakischen Giftgasarsenals und dessen Verwendung beim Massaker an etwa 5.000 KurdInnen 1987 in der Stadt Halabdscha.

„Ob sich die Ereignisse nachteilig auf den deutsch-iranischen Handel auswirken, bleibt abzuwarten“, meint der deutsche Handelsvertreter gelassen. Soviel schlechter könnten die Verhältnisse auch gar nicht werden: Die deutsch-iranischen Geschäfte sind ohnehin rückläufig. Im ersten Halbjahr dieses Jahres gingen deutsche Exporte in den Iran um 9,5 Prozent zurück, Importe sogar um 15,7 Prozent. Seit sich bei den letzten Parlamentswahlen im März die konservativen Kleriker gegen die wirtschaftsliberalen Rafsandschani-Anhänger durchsetzten, sind die Geschäftsaussichten gesunken.

Natürlich beobachte die zirka 400köpfige deutsche Gemeinschaft in Teheran den Prozeßverlauf in Berlin genau, erzählt ein Langzeitresident. Bisher befürchte jedoch kaum jemand persönliche Schwierigkeiten – jedenfalls nicht bis zur Urteilsverkündung im Januar. Dann sei es „eine Frage, wie das Urteil formuliert wird“. Denn: „Wenn die Berliner Richter tatsächlich höchste Vertreter der hiesigen Staatsführung beim Namen nennen, könnte es sein, daß wir hier ein Problem bekommen – vor allem die deutschen Diplomaten.“