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■ Aus norddeutschen Landen frisch auf den Apotheker-Tisch: Shit und Marihuana. Schleswig-Holsteins Regierung will heute ihr Modellprojekt verabschieden. Von Manfred KrienerHaschisch mit staatlichem Gütesiegel

Haschisch mit staatlichem Gütesiegel

Der Kieler CDU-Abgeordneten Frauke Tengler fiel vor Schreck „mehrfach der Bleistift aus der Hand“. Was sie da schwarz auf weiß in einer gutachterlichen Expertise las, erschien ihr unfaßbar: Das Land Schleswig-Holstein will künftig nicht nur Haschisch und Marihuana in den Apotheken verkaufen. Es will die Drogen auch noch mit einem amtlichen Zertifikat versehen. Das heilige Landeswappen als aufgedrucktes Gütesiegel für erdfarbene Rauschgiftbröckchen? Da blieb Frau Tengler dann doch die Spucke weg.

Tatsächlich ist die vorgeschlagene Kennzeichnung per Landeswappen ein im Grunde unbedeutendes Detail. Doch die Emotionen in Kiel sind derart aufgeputscht, daß die kleinen Dinge eine große Bedeutung gewinnen. Da wird das Wappentier dann zur sakrosankten Reliquie und eine brave Ministerin zum Rauschgiftdealer. Da wird ein kleines Bundesland schnell „zum größten Haschisch- Produzenten in Deutschland, wenn nicht noch darüber hinaus“, so der CDU-Abgeordnete Torsten Geerdts.

Mit ihrem wissenschaftlichen Modellversuch, Cannabis-Produkte fünf Jahre lang probeweise in einigen Apotheken in Kleinstmengen zu verkaufen, steht die Kieler Gesundheitsministerin Heide Moser an der Ostseeküste seit Tagen schwer im Wind. Sie weiß zwar die meisten Experten hinter sich, bekommt aber von Populisten, von der CDU-Opposition und der Boulevard-Presse kräftig Zunder.

Die Ablehnungsfront reicht bis zum Drogenbeauftragten der Bundesregierung. Eduard Lintner (CSU) sieht Schleswig-Holstein zum „Mekka für Kiffer und Haschfreaks“ werden. Dennoch: Die rot- grüne Landesregierung wird das Modellvorhaben am heutigen Dienstag beschließen. Wenn jetzt noch das Berliner Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte das Projekt genehmigt, wird in Deutschland Haschisch und Marihuana in einem eng begrenzten Rahmen erstmals frei verfügbar und damit legal. Ein Schritt in eine neue Drogenpolitik.

Das heftig umstrittene Experiment hat sich die Kieler Landesregierung nicht selbst ausgedacht. Sie folgt damit einem Auftrag der Gesundheitsminister der Länder. Auch das Karlsruher Bundesverfassungsgericht hatte solch ein Modellvorhaben vorgeschlagen. Ziel ist die Trennung von harten und weichen Drogen, die Herauslösung von Haschisch aus dem kriminellen Umfeld. Wer Haschisch kauft, soll künftig „nicht mehr in Kontakt zu Dealern kommen“ (Ministerin Moser), die auch andere, wirklich gefährliche Drogen anbieten. Für die Grünen ist das Experiment damit ein Stück aktiver Heroin-Verhütungspolitik, so ihr Abgeordneter Matthias Böttcher. Zugleich wird untersucht, ob der Cannabis-Konsum tatsächlich zunimmt, wenn die Droge frei verfügbar ist.

Nach dem ersten Entrüstungssturm im vergangenen Jahr über die „Rauchzeichen aus Kiel“ war es zunächst wieder ruhig um das Haschisch-Projekt geworden. Letzten Dienstag erhielt die Front der Prohibitionsanhänger dann unverhofft neue Munition. Aus dem Landwirtschaftsministerium war der CDU ein Papier zugespielt worden, in dem die Kosten für den staatlichen Anbau von Cannabis hochgerechnet worden waren.

Hintergrund: Die Landesregierung muß, wenn sie denn Haschisch in den Apotheken verkaufen will, auch welches besitzen. Also hatte Ministerin Moser die Möglichkeit des Eigenanbaus prüfen lassen. Daß sie sich dann doch gegen den Selbstanbau und für importierte oder beschlagnahmte Ware der Polizei entschied, spielte schon keine Rolle mehr. Das Papier war in die Welt gesetzt, und dort stand bis ins kleinste Detail nachzulesen, wie ein Chemiker mit Jahresgehalt BAT 1b (119.500 Mark), ein Gärtnermeister (68.000 Mark) und etliche Gehilfen in gut gesicherten Landes-Gewächshäusern mit Alarmanlage und Trocknungsraum den Schleswig-Holsteiner „Marokkaner“ nach deutschem Reinheitsgebot anbauen und ernten. Die Landesregierung als Haschischbauer? Das war zuviel.

„Benebelt? Staat plant Hasch- Anbau“, titelte ein Hamburger Blatt und faßte sich „an den Kopf“. Genüßlich zitierte die Opposition die Einzelheiten aus dem Papier. Tenor: Überall wird eisern gespart, aber für die landeseigene Rauschgiftproduktion werden zwei Millionen zum Fenster rausgeworfen. Daß der Anbau in Wahrheit Geld bringt, ja sogar überaus rentierlich ist, wurde unterschlagen. Rund 34 Millionen Mark soll der Verkauf der Cannabis-Produkte während des fünfjährigen Experiments einbringen. Zirka 30 Millionen Mark betragen laut Gutachten die Kosten inklusive eines aufwendigen wissenschaftlichen Begleitprogramms. Nie war ein Forschungsvorhaben billiger.

Die konkreten Details des Modellprojekts wird die Kieler SPD- Ministerin am heutigen Dienstag bekanntgeben. Nach den Empfehlungen des Hamburger Gutachters Dr. Peter Raschke soll der Verkauf der Droge – angeboten im Drageeformat – pro Person auf eine Menge von 0,5 bis 5 Gramm zum Eigenverbrauch beschränkt bleiben. Der Verkaufspreis ab Apotheke soll knapp über dem Schwarzmarktpreis von derzeit 10 Mark pro Gramm liegen, damit ein Weiterverkauf unrentabel ist. Raschke schlägt außerdem vor, den Gehalt des Psycho-Wirkstoffs THC aufzudrucken, ebenso einen Hinweis auf die Gesundheitsgefahren sowie das Landeswappen, damit das erworbene Haschisch von der Schwarzmarktware unterscheidbar bleibt. Das Mindestalter für Konsumenten hat Raschke auf 16 Jahre festgesetzt. Der Versuch bleibt auf drei Landkreise und die Stadt Kiel beschränkt. Käufer müssen einen Ausweis vorlegen.

Wie viele werden in die Apotheke kommen? Nach dem Weltdrogenbericht gibt es in Deutschland trotz der jahrzehntelangen, gescheiterten Verbotspolitik etwa vier bis sieben Millionen Cannabis- Konsumenten. Als Konsument gilt, wer im abgelaufenen Jahr mindestens einen „Joint“ geraucht hat. Für Schleswig-Holstein lauten die Schätzungen auf 50.000 bis 80.000. Der Jahresverbrauch für das nördlichste Bundesland wird auf 2,6 Tonnen geschätzt.

Vom Berliner Arzneimittel-Institut, das den legalen Betäubungsmittelverkehr überwacht, wird nun abhängen, ob das Modellprojekt realisiert wird. Die Kieler Gesundheitsministerin schätzt ihre Chancen auf 50:50. Das Amt untersteht zwar dem konservativen CSU-Minister Horst Seehofer. Gleichwohl haben die Berliner Wissenschaftler in ihrem Gutachten (siehe nebenstehenden Bericht) mehrfach kritisiert, daß es in Deutschland so gut wie keine Forschung in Sachen Cannabis gibt. Wenn man denn Forschung haben will, muß man das Kieler Projekt auch genehmigen.

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