Es lohnt sich nicht — und lohnt sich doch

Bärbel Bruch recycelt in einem ABM-Projekt gebrauchtes Spielzeug. Das hilft anderen – und ihr selbst  ■ Von Barbara Dribbusch

Diese Hände müssen noch zu was gut sein. Feinmechanikerinnenhände sind es, gewohnt, Armbänder, Ohrclips und Uhrengehäuse zu stanzen und zu prägen. „Ich brauche immer was zum Fummeln“, sagt Bärbel Bruch und rollt die Finger gegeneinander. Mit der Fummelei am Metall ist es vorbei. Statt in einer Montagehalle sitzt Frau Bruch jetzt in einer mit Spielzeug vollgestopften Kammer in einem Berliner Hinterhof. Und sortiert schmuddelige Plastikautos, Dinofiguren und Trollpuppen. „Die Arbeit hier ist meine Rettung.“

Die Rettung vor der großen Leere, die sich in sie hineinfraß wie eine tödliche Krankheit. Seit damals vor sechs Jahren, als die Marktwirtschaft kam und der volkseigene Metallbetrieb an der Oderbruchstraße in Prenzlauer Berg dichtmachen mußte. Die Uhrenarmbänder, an denen Bärbel Bruch einst feilte, „die kommen jetzt aus Taiwan“. Ohne die Marktwirtschaft säße die 52jährige nicht hier.

Ohne die Marktwirtschaft gäbe es auch nicht das viele überzählige Spielzeug, das täglich herangekarrt wird beim ABM-Projekt Lowtec in Berlin Prenzlauer Berg. Zwanzig Frauen und ein paar Männer waschen und reparieren Spielzeug und Kinderkleidung, um die Sachen dann ins Umland oder ins Ausland weiter zu verschenken. Das Arbeitsamt zahlt die kargen ABM-Gehälter. Bei der Lowtec wird Spielzeug recycelt – und Arbeitskraft.

Zum Beispiel die von Bärbel Bruch. „Wir schmeißen nichts weg“, versichert die gelernte Feinmechanikerin und legt einen kleinen Schnuller beiseite, „den hänge ich der nächsten Puppe um den Hals“. Ein paar Sandkastenförmchen hat sie saubergeschrubbt. Sie pfriemelt Kleinspielzeug auseinander, das von den Kinderschokolade-Überraschungseiern stammt und kiloweise hier landet. „Arbeit gibt es genug“, meint sie lakonisch.

Anders als zu Hause in einem Wohnblock in Weißensee. Dort stand sie hinter den Gardinen und beobachtete neidisch die Nachbarn, die von der Arbeit nach Hause kamen. Im Hintergrund lief in der Glotze das Nachmittagsprogramm. Schrecklich war es, nachdem sie nach 35 Jahren im Betrieb nicht nur Job und gutes Einkommen, sondern auch 200 KollegInnen verloren hatte. Ihr Mann arbeitet Schicht bei der Feuerwehr, die drei Kinder sind aus dem Haus. „Die ABM ist meine Zuflucht.“

Ein bißchen Arbeit wie früher – das ist die Lowtec, wo einige der ehemaligen Industriearbeiterinnen immer noch in Kittelschürzen antreten. Alle beginnen morgens um sieben Uhr, obwohl das eigentlich gar nicht nötig wäre. „Wir sind das doch so gewöhnt“, sagt Frau Bruch. Und so gehört sie jetzt frühmorgens wieder dazu, zu all denen, die in U- und S-Bahnen der Arbeit zustreben. Reiht sich ein in den Strom, der ihr das Gefühl gibt, gebraucht zu werden.

In der Hinterhofwerkstatt kämmt sie blonde Puppen mit blauen Schlafaugen, verpackt ausgemusterte DDR-Ladenkassen für die Wiederverwendung in Kinderkaufläden und wäscht Kuscheltiere. Kuscheltiere über Kuscheltiere, die Kinder zu den Sammlungen in den Schulen angeschleppt haben. „Beim Versand achten wir aber auf die Mischung“, betont Bärbel Bruch, „in den Kisten sind Kuscheltiere drin und Malbücher und Autos, wie in einer Wundertüte.“

Die Wundertüten vom Prenzlauer Berg gehen an Heime in Rumänien, Bosnien, Brasilien oder Afrika. Gebrauchte Dreiräder, Kindermöbel und Roller landen bei den Kitas in der Umgegend. Aus einem bosnischen Flüchtlingslager kam mal ein Dankesbrief samt Polaroidfoto, auf dem ein Geschenkeberg mit Weihnachtsbaum zu sehen war. „Da lief uns eine Gänsehaut den Rücken runter“, schildert Bärbel Bruch, „dann weiß man doch, wofür man arbeitet.“

Das ist wichtig für die füllige Ex- Facharbeiterin, die heute geduldig Walt-Disney-Puzzles zusammensetzt („Bei uns geht nur Vollständiges raus“) und Kinderschlittschuhe wienert. So als gäbe es nichts Besseres zu tun.

Es gibt nichts Besseres zu tun für Frau Bruch. Das begriff sie, seit sie im Selbstversuch ein paar dutzendmal die „Wiedereingliederung“ in den „ersten Arbeitsmarkt“ probierte. Jeden Morgen bewarb sie sich auf Zeitungsanzeigen von West-Betrieben, schriftlich, telefonisch, persönlich. „Ich war bald bereit, jede Arbeit anzunehmen.“ Schließlich sprach sie bei Möbel Höffner vor, als die Firma ein paar Putzfrauen suchte. Die Sekretärin riet ihr freundlich, aber bestimmt, ab. Sie solle sich doch nicht so erniedrigen: „Das machen bei uns doch die Ausländerinnen.“

Auch mit High-Tech hat sie es versucht, bevor sie zur Lowtec kam. Bei einem Mikro-Chip-Hersteller im Wedding bestand sie den Geschicklichkeitstest. „Ich habe halt eine ruhige Hand.“ Aber dann teilte ihr die Personalleitung mit, daß sie, leider, leider, zu alt sei für die betriebliche Schulung. „Da wußte ich, mit 50 hast du keine Chance.“ Außer beim Arbeitsamt VII und Frau G., der freundlichen Sachbearbeiterin. Der triste Neubau verwandelte sich in einen Wallfahrtsort für Frau Bruch und ihre arbeitslosen Kolleginnen. „Ich bin da zeitweise jeden Tag aufgekreuzt.“ Frau G. schickte sie schließlich zur Lowtec. Ein Jahr Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, dann die übliche einjährige Ehrenrunde in Arbeitslosigkeit, jetzt wieder ABM im gleichen Projekt. „Das ist ein Glücksfall“, glaubt Bärbel Bruch. Auch wenn finanziell „nicht viel mehr“ dabei herausspränge als 1.500 Mark netto im Monat.

Aber ums Finanzielle geht es ihr nicht in erster Linie. „Wichtig ist doch, daß man eine Arbeit hat und Kolleginnen.“ Damals, nachdem der volkseigene Betrieb schließen mußte, versuchten die Kolleginnen, eine Art Netzwerk aufrechtzuerhalten. Die Frauen trafen sich regelmäßig auf dem Arbeitsamt und machten zusammen Busreisen, Tagesfahrten für 20 Mark „in den Spreewald, nach Nürnberg“, inklusive Heizdeckenverkauf. Irgendwann war auch das vorbei. „Und dann stehst du da.“ Mit den Frauen bei der Lowtec kommt Frau Bruch jetzt „wunderbar aus“. Hier sähe man doch, daß es andere auch schwer hätten. „Da gibt es Alleinerziehende mit drei Kindern, die kriegen doch überhaupt nichts mehr.“

Im April nächsten Jahres naht der zweite Abschied. Die Maßnahme läuft aus. Frau Bruch hat sich schon mit ein paar Kolleginnen aus der ABM verabredet, vorsorglich. Man wird sich wieder alle 14 Tage treffen, beim Arbeitsamt VII in der Storkower Straße. In der Kantine trinken sie dann „ein Käffchen“ und vertilgen eine Bockwurst. Vorher gibt's ein Gespräch mit Frau G. „Die hat uns gesagt, wer immer wieder herkommt, der kriegt irgendwann auch 'ne Arbeit.“ Und sei es auch nur die nächste ABM.