■ Zwölf Jahre Haft für die Flugzeugentführerin Andrawes
: Zur Kronzeugin gezwungen

Die Mühlen der Justiz arbeiten langsam, unerbittlich und gnadenlos. Gestern hat das Hamburger Oberlandesgericht die Palästinenserin Souhaila Andrawes wegen der Entführung des Urlauberflugzeuges „Landshut“ nach Mogadischu im Herbst 1977 zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Schuldig gesprochen wurde sie unter anderem wegen des Mordes an dem Flugkapitän Jürgen Schumann – daher rührt die Höhe der Haftstrafe, trotz angewandter Kronzeugenregelung. Geschossen hat aber nicht Souhaila Andrawes. Es war der Anführer des vierköpfigen Entführungskommandos, Zohair Akache, der den Flugkapitän kaltblütig mit einem Schuß in den Kopf hinrichtete.

Der Schuldspruch wegen Mordes stützt sich auf eine wackelige Konstruktion: Andrawes ist schuldig, weil sie mit dem Mord einverstanden gewesen sein soll. Für dieses Konstrukt gibt es keinen schlüssigen Beleg, allenfalls dürftige Indizien. Sie selbst hat bis zuletzt bestritten, von den Tötungsplänen Akaches gewußt zu haben. Mit anderen Worten, es wurde trotz Zweifels gegen die Angeklagte entschieden.

Gerichtsverfahren und Urteile sollen Unrecht sühnen. Mancher wird nun meinen, daß mit dem Urteil der Ermordung Schumanns, den fürchterlichen Strapazen und der Todesangst der Geiseln endlich Rechnung getragen wurde. Das Verfahren gegen Andrawes stand aber von Anfang an unter einem anderem Vorzeichen.

Der Mordvorwurf war keineswegs zwingend. Er wurde vor allem erhoben, um Souhaila Andrawes in die Rolle einer Kronzeugin zu zwingen. Und es hat funktioniert. Die Alternative „lebenslang wegen Mord“ vor Augen, hat die Beschuldigte bei ihren Vernehmungen die Deutsche Monika Haas schwer belastet: als diejenige, die den Entführern auf Mallorca Waffen und Sprengstoff übergeben hat. Diese Aussage hat Andrawes während des Prozesses dann zwar widerrufen, in die gestrige Urteilsbegründung haben ihre Aussagen dennoch Eingang gefunden. In Frankfurt wird zur Zeit gegen Monika Haas verhandelt. Dort ist nun nach den Aussagen der Kronzeugin Andrawes ein ähnlich fragwürdiges Urteil zu erwarten. Mit Sühne oder Aufarbeitung des Terrorismus hat das Handeln der Justiz recht wenig gemein. Es ist ein Verharren in längst vergangenen Auseinandersetzungen. Wolfgang Gast