Liebesakt der Pointen

■ Für die geplatzte Aufführung von Kleists „Amphitryon“ hat Gerhard Willert Oscar Wildes Konversations-Farce Bunbury für das Thalia Theater inszeniert

Jack Worthing erfindet sich einen Bruder namens Ernst, um in London der koketten Gwendolen den Hof zu machen. Algernon Moncrieff gibt vor, seinen todkranken Freund Bunbury auf dem Lande besuchen zu müssen, um lästigen Dinner-Partys in der Stadt zu entgehen und Jacks Mündel Cecily zu umgarnen. Die beiden Dandys „bunburysieren“, um ihre erotischen Eskapaden zu vertuschen, erschaffen sich fremde Identitäten, um fremdgehen zu können abseits von viktorianischer Etikette – und endlich zu sein, was sie wirklich sind.

In unserem hedonistischen Jahrzehnt ist das Gegenteil Mode und Vorbild geworden. Madonna, Claudia Schiffer oder Dandy Karl Lagerfeld „bunburysieren“ mit Hilfe der Medien. Wir tun nichts lieber, als unseren Designern, Models, Pop- und Sport-Idolen nachzueifern. Schlüpfen mit ihnen in wechselnde Images, nehmen wie sie ge-stylte Identitäten an. Um im Sex-Wettbewerb hip, attraktiv und konkurrenzfähig zu bleiben – und nicht immer sein zu müssen, was wir wirklich sind.

Bei allem Unterschied der Codices, in denen die Widersprüche von Sein und Schein gefaßt sind: So fern liegt uns Oscar Wildes „triviale Komödie für ernste Leute“ gar nicht. Die Ironie gegenüber herrschenden gesellschaftlichen Zuständen hat an zersetzender Kraft nicht viel verloren. Ungebrochen bleibt der geschliffene Sprachwitz im Doppelspiel von Lüge und Wahrheit. Das Leben zur Kunst zu machen, kostet nach wie vor Kraft.

„In Kenntnis dessen, was damals war und heute ist, versuchen wir, eine Form für das Stück zu finden“, sagt Regisseur Gerhard Willert (39), der für die geplatze Aufführung von Kleists Amphytrion in kürzester Zeit mit Bunbury den Ersatz inszenieren mußte, der nun am Sonntag Premiere hat.

„Ich halte nicht viel davon, einem 100jährigen Stück die Fremdheit zu nehmen. Aber ich glaube nicht an historische Reproduktion.“ Die Aufführung ist „inspired by and rooted in the times of Oscar Wilde.“ Der studierte Anglist mit langjähriger England-Erfahrung kennt seinen Dichter-Dandy.

„Uns fehlte leider die Zeit, eine neue Übersetzung zu erarbeiten. Ich habe die vorhandene behutsam entschlackt, eingegriffen, wo sie mir zu ornamental war im Vergleich mit dem Original.“ Wilde geht nämlich extrem lapidar mit Sprache um. „Wenn er längere Sätze schreibt, sind sie ein Vorspiel zur Bösartigkeit. Das ist wie mit dem Reizen beim Liebesakt. Die Pointe ist dann Klimax – und Spitze, die ins Schwarze trifft.“

Thomas Rössl

Premiere: So, 24. November,

20 Uhr, Thalia-Theater