Warnung statt Heldenmythos

Vor vier Jahren wurde Silvio Meier von rechten Hooligans erstochen. Seine Freunde erinnern heute mit einer Mahnwache an die wiedererstarkte rechte Szene in Friedrichshain  ■ Von Gereon Asmuth

Eine schlichte Metalltafel im U-Bahnhof Samariterstraße in Friedrichshain erinnert an Silvio Meier. Heute vor vier Jahren wurde der 27jährige Hausbesetzer dort von rechten Hooligans erstochen. Doch obwohl die Auseinandersetzungen im Bezirk aus den Schlagzeilen verschwunden sind, ist die rechte Szene nach Aussagen von Silvios Freunden aktiv wie eh und je. „Erst letzte Woche haben Unbekannte versucht, die Tafel abzuschrauben“, erzählt Ekkehard, der Silvio damals begleitete. „Vor drei Wochen wurde ein Jugendlicher in unmittelbarer Nähe des Tatorts von Neonazis mit Messern bedroht.“ Und seit jüngstem kursierten Flugblätter, die offene Angriffe gegen „Chaoten und Hausbesetzer“ ankündigten, berichtet Ekkehard.

Silvios Tod im November 1992 fiel in eine Zeit, als sich die Hausbesetzer in Friedrichshain relativ sicher vor rechten Überfällen fühlten. Zwei Jahre zuvor, als sich in der Wendezeit die DDR-Polizei nicht mehr blicken ließ, gehörten die Angriffe von Neonazis auf die besetzten Häuser noch zum Alltag. Unter anderem durch konsequentes Auftreten gegenüber den Rechten seien diese zurückgedrängt worden, meint Ekkehard.

Diese konsequente Haltung stand auch am Anfang der tödlichen Messerstecherei. Die vier Hausbesetzer hatten im U-Bahnhof mit einer Gruppe Hooligans Streit bekommen, weil einer den Aufnäher „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein“ an der Jacke trug. Bei einer zweiten Begegnung auf dem Zwischenpodest stießen die Hooligans unvermittelt mit Messern zu. Silvio Meier starb kurz darauf, Ekkehard und ein weiterer Freund wurden schwer verletzt. „Die haben genau gewußt, was sie taten“, meint Ekkehard, nicht nur weil die Angreifer sie als „linke Säue“ beschimpft hätten. Ein Arzt habe aus Ekkehards Verletzungen auf gezielt tödliche Stiche geschlossen. Die Polizei sprach zunächst von „innerlinken Auseinandersetzungen“. Auch in dem Prozeß gegen die drei jugendlichen Täter spielte der politische Hintergrund keine Rolle. „Die haben sich als Hooligans bezeichnet“, erinnert sich Ekkehard, der den ansonsten nicht öffentlichen Prozeß verfolgen durfte. Nach der Bedeutung dieser Bezeichnung sei nicht gefragt worden. „Für das Strafmaß mag der Hintergrund keine Rolle gespielt haben“, meint Ekkehard, „für uns aber wäre es wichtig gewesen.“ Die drei Angeklagten wurden im Herbst 1993 zu Freiheitsstrafen zwischen viereinhalb Jahren und acht Monaten verurteilt.

Rechtsextremistisch motivierte Überfälle sind heute kaum noch in der Diskussion. 1992 dagegen zündete der Mob in Rostock ein Ausländerwohnheim an. In Mölln starben nur zwei Tage nach Silvios Tod sechs TürkInnen. Trotz des Verschwindens der Gewalt aus den Schlagzeilen glaubt Ekkehard nicht, daß die Übergriffe entscheidend zurückgegangen sind. Zwar wurden rechtsextreme Parteien verboten, doch die Neonazis seien nicht verschwunden: „Die laufen nur nicht mehr mit Glatze und Bomberjacke durch die Gegend.“ Überfälle, etwa auf nichtdeutsche Bauarbeiter, führten jedoch häufig nur zu „regionalen Siebenzeilern“, kritisiert Ekkehard. „Vor vier Jahren wurden die Rechtsextremen als Anheizer für die Asyldebatte gebraucht. Heute werden negative Schlagzeilen wegen des schlechten Images im Ausland gefürchtet.“

Mit der heutigen Mahnwache wollen Silvios Freunde daher keinesfalls einen Heldenmythos produzieren. „Natürlich geht es auch um Silvio“, erklärt Ekkehard. „Ich habe einen sehr guten Freund verloren, und ich will nicht, daß das vergessen wird.“ Dennoch sollen die Mahnwache und auch die von Jugend-Antifa-Gruppen initiierte Demonstration am Samstag in erster Linie auf die aktuelle Präsenz der Rechtsextremisten aufmerksam machen. „Einschreiten war und ist notwendig“, meint Ekkehard. „Bei den Auftritten der Nazis geht es um die Macht auf der Straße. Wer in verantwortlicher Art dagegen vorgeht, verdient Respekt.“

Mahnwache im U-Bahnhof Samariterstraße, heute von 14 bis 18 Uhr; Antifa-Demo am Frankfurter Tor, Samstag, 14 Uhr