■ Ärzte protestieren gegen Seehofers Budgetierung
: Sippenhaft für Vernünftige

„Mehr mit Patienten reden – weniger Pillen“ – solche Forderungen vermißte man bei den gestrigen Protestaktionen der Ärzte. Dabei könnte diese Kurzformel der Lösungsansatz für die drohenden Seehoferschen Regreßforderungen an die niedergelassenen Ärzte sein. Nein, die Ärzte protestieren nur gegen eine drohende Bestrafung, weil sie entgegen den gesetzlichen Sparauflagen zu viele Medikamente verordnet haben. Aber hatten sie denn eine Chance, den Medikamentenkonsum sinnvoll zu drosseln?

Seehofer hatte den Ärzten nämlich keinerlei Instrumente für eine solche Umsteuerung an die Hand gegeben. Eher umgekehrt. Seehofer hat auf Druck der Pharmaindustrie die ursprünglich schon beschlossene Positivliste, die erhebliche Einsparungen erbracht hätte, sabotiert, die Preisbindung für die überteuerten Medikamente wieder aufgehoben, das geradezu inflationstreibende Abrechnungssystem der Ärzte (mehr Verordnungen plus mehr Patientenkontakte gleich höheres Einkommen) nicht angetastet. Ergebnis: Die Medikamentenkosten laufen aus dem Ruder. Hinzu kommt ein Sonderproblem: Die Ostkollegen vertrauen offenbar blind der Westwerbung (und den kleinen Geschenken der Pharmaindustrie) und verordnen, was sie jahrelang vorher nicht durften, teure Markenprodukte. Vernünftige Ärzte, die nicht nach zwei Minuten zum Rezeptblock greifen, sind jetzt die Dummen, weil sie auch für ihre unvernünftigen Kollegen in Sippenhaft genommen werden. Alle zusammen protestieren gegen die chaotische Gesundheitspolitik – dies ist berechtigt, reicht aber nicht aus.

Was endlich kommen muß, ist eine pharma-unabhängige Pflichtweiterbildung für eine rationelle Arzneimitteltherapie, eine Positivliste zur Orientierung und eine Entkoppelung des Ärzteeinkommens von der Menge der Verordnungen und der Patientenkontakte. Wie in jedem anderen akademischen Beruf sollte der Arzt nicht wie ein Akkordarbeiter nach Anzahl der Spritzen, sondern nach Arbeitszeit und Qualifikation bezahlt werden. Damit entfiele der Zwang zur permanenten Leistungsausweitung. Leider weigern sich die meisten Ärzte, solche radikalen Reformen zu unterstützen. Was allerdings auf keinen Fall akzeptabel ist, ist, daß sich Seehofer und Ärzte auf weitere Zuzahlungen der Patienten einigen, nur weil diese nicht laut genug protestieren können. Bernd Köppl

Gesundheitspolitischer Sprecher der Berliner Bündnisgrünen