Fingerbrechen für je 10.000 Mark

Pleitewelle sorgt für Hochkonjunktur unter den Geldeintreibern  ■ Aus Berlin Reiner Metzger

Wir haben den Finanzminister in Bonn sitzen, der zu uns paßt. Was Theo im Großen, sind die Deutschen im Kleinen: Zwei Millionen von 36,5 Millionen Haushalten sind pleite. Mit solchen Zahlen wartete gestern der Bundesverband Inkasso auf. Dort sind 350 von 550 bundesweit gerichtlich zugelassenen Schuldeneintreibern organisiert. Häufig haben sich Privatleute wegen ihres Konsums überschuldet: Versandhäuser, Autos oder Möbel stehen oben auf der Hitliste und sorgten Ende 1995 laut Bundesbank für Konsumkredite in Höhe von 370 Milliarden Mark.

Im Wirtschaftsbereich sieht es nicht besser aus. Schlechte Auftragslage und hohe ausstehende Zahlungen gleichermaßen treiben die Firmenkonkurse auf immer neue Rekordmarken: Der Bundesverband Inkasso rechnet 1996 mit 26.400 Insolvenzen, 18 Prozent mehr als letztes Jahr. Durch Firmenpleiten gingen der deutschen Wirtschaft von 1991 bis 1996 Außenstände von insgesamt 170 Milliarden Mark verloren. Der Inkasso-Verband sieht dadurch 400.000 Arbeitsplätze vernichtet.

Bei den hohen Außenständen allerorten laufen die Geschäfte der Inkasso-Unternehmen gut. 27 Milliarden Mark an Forderungen bearbeiten die Mitglieder des Bundesverbandes derzeit. Doch häufig beißen sie auf Granit. Arbeitslosigkeit, Scheidung oder Krankheit sind die häufigsten Gründe, die bei Privaten enge Finanzpläne über den Haufen werfen und Kredite platzen lassen. Bei Geschäftsleuten ist oft schwer durchschaubar, ob ein Betrieb noch etwas hergibt.

An frustrierte Gläubiger wenden sich deshalb die Harten im Gewerbe. Illegale, weil nicht vom Gericht zugelassene Schuldeneintreiber preisen in Zeitungsannoncen ihre Dienste an. „In Einzelfällen existieren Angebote, wonach Zahlungsunwilligen für je 10.000 Mark Schuldsumme ein Finger gebrochen wird“, weiß der Verein Deutsche und Ausländische Kaufleute (VDAK) in Recklinghausen zu berichten. Dem Verein liegen auch eidesstattliche Erklärungen von potentiellen Kunden eines Bielefelder Büros vor. Dessen Spezialität: Eine leichtbekleidete Blondine hält den Schuldner durch eine vorgetäuschte Autopanne auf. Von ihm im Auto mitgenommen, reißt sie sich bei passender Gelegenheit die Kleider vom Leib und schreit: „Vergewaltigung, Vergewaltigung!“ Dieser Psychoterror wird für 10.000 Mark angeboten, die Hälfte davon in Vorkasse. Der VDAK vermittelt auch Agenturen, die allein auf Erfolgsbasis arbeiten und deshalb vor Ort mehr tun, als nur den Gerichtsvollzieher zu senden. Übernehmen solche Büros Forderungen, die selbst der Gerichtsvollzieher nicht eintreiben konnte, behalten sie allerdings etwa die Hälfte der eingezogenen Summe als Prämie.

Nicht nur Gläubiger müssen aufpassen, bei wem sie Hilfe suchen – Schuldner ebenso: „In Zeitungsanzeigen wird oft der Eindruck erweckt, es könnten Kredite zur Ablösung von Altschulden vermittelt werden“, warnt Ulf Groth, Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung in Kassel. Doch versprochene Vergleichsverhandlungen mit den Gläubigern finden meist nur auf dem Papier statt. Für ein zweifelhaftes Finanzierungskonzept werden auch noch vier bis sechs Prozent der Gesamtsumme als Provision fällig.