Abwasser zum Anfassen

■ In Findorff entsteht zur Zeit das bundesweit einzige Museum, das sich mit des Menschen natürlicher Hinterlassenschaft beschäftigt

Wie der Strom aus der Dose kommt, so verschwindet der Schiet im Abwasserrohr. Weiter reicht das Wissen des gemeinen Menschen um die Entsorgung seiner Hinterlassenschaften meistens nicht. Das wird sich ändern: Bremen erhält im nächsten Jahr ein Abwassermuseum. Eins, in dem laut Konzept der Weg des Abwassers so dargestellt werden soll, „daß er alle Sinne beschäftigt“.

Kein Grund, die Nase zu rümpfen, die nämlich wird verschont. Seitdem das alte Pumpwerk in Findorff, welches das Museum beherbergen wird, stillgelegt wurde, atmen auch die AnwohnerInnen auf. Das neue Pumpwerk gleich nebenan arbeitet vollkommen geruchsneutral. Dafür aber hat es nicht den Charme des alten Gemäuers, das 1916 in Betrieb genommen wurde: Das wunderschöne rote Backsteingebäude mit seinen riesigen Fenstern, durch die der Blick auf die mannshohen Pumpen mit ihren messingblitzen-den Apparaturen fällt, ist ein prächtiges Stück Industriearchitektur und steht als solches unter Denkmalschutz. Zum Glück, mahnt es doch an wahrhaftige Pionierleistungen in Sachen Stadtentwässe-rung, die noch bis zur Jahrhundertwende weitgehend der Natur überlassen worden war:

Wie alle anderen Städte war Bremen im Mittelalter ein Ort des Gestankes. Die BewohnerInnen entleerten ihre Nachttöpfe in Rinnen, die an den Häusern entlangliefen und ihre schwere Last in den Wallgraben oder in die Balgen entluden – offene Kanäle, die die gesamte Stadt durchzogen. Zuweilen verrichteten die BremerInnen ihre Notdurft auch auf Abtrittserkern über den offenen Gewässern. Pestilenzartiger Gestank durchzog die Straßen. Gestank, der in Zusammenhang mit Typhus und Cholera gebracht wurde. Der Pestarzt aber konnte nicht verhindern, daß die Balgen immer mehr verschlammten.

Privilegierte Menschen wie der Bürgermeister Smidt verlegten ihr Heim an die Stadtgrenze. Andere hatten weniger Glück. Noch vor 150 Jahren wurden 221 BremerInnen von der Cholera heimgesucht, 161 starben. Dies, obwohl nach Drängen der Cholera-Deputation die Hauptbalge zugeschüttet und die kleineren Balgen mit Platten abgedeckt waren. Die Angst vor Typhus und Cholera war so groß, daß 1887 der Beschluß erging, die wichtigsten Kanalbauten binnen sechs Jahren zu beenden. Als fünf Jahre später die letzte große Cholera-Epidemie über Hamburg hereinbrach und Amerika die Einwanderung via Hamburg untersagte, witterten die Bremer Kaufleute ihre Chance: Sie wollten nun die Reiseströme in die Neue Welt lancieren, doch dazu bedurfte es einer Stadthygiene, die Krankheiten für immer verhinderte.

Die Kaufleute machten Druck, und so brach die große Stunde für „Schieten-Alfes“ an. Der brave Fuhrmann aus der Neustadt holte die nächtlich von den BremerInnen neben dem Rinnstein deponierten „Eimerprivets“ ab und brachte sie zum Arsterdamm, wo er eine „Poudretten-Fabrik“ unterhielt. Hier verwandelte er den Inhalt von 30.000 Abtrittonnen in Dünger-Briketts für die Landwirtschaft. Ein Geschäft, das freilich den Nachbarn ordentlich stank und zu vielfältigen Beschwerden führte.

1903 wurde die Einführung von Spülklosetts gesetzlich vorgeschrieben. Ein Problem der Entwässerung aber blieb: Das Stadtgebiet war und ist zu flach. Das Gefälle, so überhaupt davon die Rede sein kann, führt eher von der Weser weg. Darum braucht es Pumpstationen, welche die Abwässer hoch- und zum 1911 gebauten Klärwerk pumpen. Dafür sorgen die Pumpwerke in der Farge und in Findorff.

Die Arbeiter, die 1916 hier ihre Arbeit aufnahmen, waren wahrhaftige Pioniere der Stadtentwässerung: Sie räumten die Kanäle frei und entschlackten täglich das Verdauungssystem des Stadtkörpers. Sie wußten aufgrund intensiver Wetterbeobachtung genau, welche der Pumpen sie zu betätigen hatten, um entlegene Ortsteile vor Kloakenüberschwemmung zu bewahren. Sie durchsiebten heldenhaft den Pumpensumpf mit einem Rechen und förderten erstaunliche Dinge zutage: Die tausendfach eintreffenden Kondome und Slipeinlagen konnten sie ebensowenig beeindrucken wie Gebisse, Brillen, Portemonnaies. Aber wer drückt eine Holzpalette durchs Klo?

Mit dem Pumpwerk begann in Bremen eine neue Ära der Stadtentwässerung, die bis heute Bestand hat. Das wissen auch die Arbeiter zu schätzen, die ihr Gebäude lieben und die kraftstrotzenden Maschinen, die wie in den Eisenstein-Filmen Geschichten erzählen. Als die Bremer Entsorgungs Betriebe (BEB) noch überlegten, was mit dem Gebäude nach der Stillegung geschehen könne, schlugen die Pumpwerker vor, dieses in ein Abwassermuseum zu verwandeln.

Natürlich packen die Recyclingspezialisten selbst an und haben bereits mit der Renovierung begonnen. Sie errichten ein Seminarhaus, in dem zukünftig Tagungen von Umweltverbänden oder -gruppen stattfinden können. Gleichzeitig sucht der von ihnen gegründete Verein nach Ausstellungsstücken, welche die Hygienegeschichte Bremens dokumentieren. Die werden dann zusammen mit Anschauungsmaterial der BEB zum dauernden Inventar des Pumwerks gehören und den BremerInnen den natürlichsten aller Kreisläufe erklären. Im kommenden Herbst werden die Tore zum bundesweit ersten „erlebnisorientierten Abwassermuseum“ geöffnet.

Dora Hartmann