Leben - in Module gestückelt

■ Ralph Loell vom "Bündnis selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen" kritisiert, daß der Spardruck in den Sozialämtern das Leben von Behinderten stark einschränkt

Ralph Loell (37) gehört zu den Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind. Er leidet an einer Krankheit, die forschreitende Lähmung verursacht. Für Loell heißt selbstbestimmtes Leben, daß er selbst über die Hilfe, die er beansprucht, entscheiden kann. Erst solche Assistenz ermöglicht es ihm, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben.

taz: Sie waren bei der Sozialsenatorin, um Krach zu schlagen. Wogegen protestieren Sie?

Ralph Loell: Frau Hübner will die Pflege in Berlin nicht mehr bedarfsgerecht sichern. Und das, obwohl das Abgeordnetenhaus im Juni beschloß, daß die Pflege und Versorgung Hilfebedürftiger gesichert sein muß, wenn im Januar das neue Modulsystem eingeführt wird. Für Menschen, die einen hohen Hilfebedarf haben, bedeutet das den Tod auf Raten.

Sind die sogenannten Module nicht von Vorteil?

Nein, denn es gibt nur noch genau festgelegte Pflegeleistungen. Mein Leben wird in Module zerstückelt. Ich muß nach Standardzeiten funktionieren – wie eine Maschine. Grundlegendes, das ich brauche, ist nicht vorgesehen.

Wie sieht ein Modul aus?

Zur Morgentoilette gehören einzelne Teile wie Anziehen oder Waschen. Intimpflege wird nicht erwähnt. Die gibt es nur beim Modul Toilettengang. Das ist doch pervers. Für die Morgentoilette steht eine Standardzeit von 30-45 Minuten zur Verfügung. Real brauchen Menschen wie ich, deren Körper anders funktionieren, die Schmerzen haben, aber circa zwei Stunden.

Das heißt, das Pflegemodul ist zu klein für Sie.

Ja, ich bräuchte es zwei- oder dreimal.

Und das Sozialamt zahlt diese Differenz?

Ja, so sollte es eigentlich sein. Aber hier greift ein Paragraph des geänderten Sozialhilfegesetzes. Das Sozialamt darf danach bestimmen, welche häuslichen Hilfen im Vergleich zur Heimunterbringung „unverhältnismäßige Mehrkosten“ verursachen. Zum Beispiel könnte das Sozialamt für einen besonderen Einkauf oder einen Theaterbesuch das Modul „Begleitung“ – das 60 Minuten lang ist – mehrfach bewilligen. Nur „kann“ ist eben nicht „muß“.

Die Sozialhilfebeamten nutzen ihr Ermessen nicht?

Die haben die Sparpolitik des Senats oft schon im Kopf. Sie sind angehalten, die Sozialkosten zu drücken. Und deswegen bewilligen sie den lebensnotwendigen Bedarf nicht – obwohl sie es laut Gesetz dürften. So, wie es jetzt läuft, wird mein Leben auf unzureichende Pflege in der Wohnung reduziert – und das Sozialamt legt de facto fest, wie oft ich diese im Monat verlassen darf. Meine Wohnung – eine Pflegezelle.

Was halten Sie vom Sparen?

Ich bin dafür. Aber da muß auch die Frage beantwortet werden, wer die Schulden verursacht hat. Der muß dafür geradestehen. Im Moment ist es aber so, daß Menschenwürde bei Behinderten zum Luxus erklärt wird, daß sie also eingespart werden kann. Alte und behinderte Menschen tauchen nur noch als Kostenfaktoren auf. Derartige Maßnahmen verstoßen gegen die Grundwerte dieser Gesellschaft. Interview: Christian Füller