Knisternde Monotonie entspricht dem Zeitgeist

■ Whoosh! Trotz gestriger 7:6, 6:7, 1:6-Niederlage gegen Michael Chang steht der Comicstrip-Tennisspieler Goran Ivanisevic in Hannover im ATP-WM-Halbfinale

Hannover (taz) — „Irgendwann werden die Leute sagen: 2.000 Asse in einer Woche, das schaue ich mir nicht mehr an“, prophezeit Thomas Muster, der unermüdliche Kämpfer für laufbetontes Tennis. Gemeint sind vor allem solche Matches wie das des Kroaten Goran Ivanisevic gegen den Niederländer Richard Krajicek, die der Österreicher als „Links-Rechts- Spazierengehen“ abqualifiziert. Wenn Muster jedoch am Mittwoch abend in der pompös zur „Europahalle“ hochstilisierten Messehalle 2 in Hannover war, dürfte er gemerkt haben, daß seine Hoffnung nicht die besten Aussichten auf Realisierung hat. Zahlreich waren die Menschen zum Abendmatch Ivanisevic — Krajicek erschienen, und sie amüsierten sich köstlich.

Unverdrossen beklatschten die 13.000 Zuschauer jedes der insgesamt 43 Asse beim 6:4, 6:7 (4:7), 7:6 (7:1)-Sieg des Kroaten und freuten sich an der eigenartigen Dramaturgie, die eine solche „Aufschlag- Competition“ (Muster) zu bieten hat. Da die meiste Zeit die Monotonie eines Torwandschießens vorherrscht, sind es — ähnlich wie beim Baseball oder Fußball — die wenigen Momente der Zuspitzung, die den Reiz ausmachen. Knisternde Spannung bei den Tiebreaks, Begeisterung, als Krajicek einen Schmetterball erläuft und genau auf die Linie setzt, grenzenloser Jubel bei einem „Lob“ des Niederländers, ehrfürchtiges Raunen, als der Ball sagenhafte zehn Mal das Netz überquert. Dazwischen Comicstrip-Tennis, wie es dem Zeitgeist entspricht: Whoosh! Bang! Vorbei! Dagegen wirkt Musters Malocher-Tennis wie Herbergers Läuferreihe gegen die Viererkette des AC Mailand.

Als im Sommer 1988 ein spindeldürrer, hypernervöser und völlig unbekannter 17jähriger beim Davis Cup-Match in Dortmund an der Seite des Brachialaufschlägers Slobodan Zivojinovic auftauchte und fast das Doppel gegen die deutschen Favoriten und späteren Cupgewinner zugunsten Jugoslawiens entschieden hätte, ahnte man zwar, daß es sich um ein besonderes Talent handelte, nicht aber, daß gerade die Zukunft des Tennis aufgetaucht war.

Seither hat der durchschnittliche Spieler Goran Ivanisevic mit seiner Aufschlaggewalt und seiner Versiertheit im, wie er es nennt, „Kroatischen Roulette“ — der Kunst, mit dem zweiten Aufschlag ein As zu plazieren — schon 27 Turniere gewonnen. Ähnlich eindimensionalen Vorläufern wie Zivojinovic oder Roscoe Tanner waren nur Achtungserfolge vergönnt. Was dem 25jährigen fehlt, ist ein großer Wurf. Bei Grand Slam- und Masters-Turnieren kamen ihm am Ende stets Spieler in die Quere wie Becker, Sampras oder der geniale Returnierer Agassi, der ihm 1992 im Finale von Wimbledon den Triumph vermasselte.

Die ATP-WM käme als Entschädigung gerade recht. Durch den Sieg gegen Krajicek hatte sich Ivanisevic für das Halbfinale am Samstag qualifiziert, daran konnte auch die gestrige 7:6 (10:8), 6:7 (5:7), 1:6-Niederlage in einem ansehnlichen „Schaukampf“ gegen den bereits ausgeschiedenen Michael Chang nichts mehr ändern. Krajicek dagegen muß heute ums Weiterkommen kämpfen. Gegner im Endspiel um den Einzug ins Halbfinale ist kein anderer als Thomas Muster. Wie die Chancen stünden, wurde er gefragt. Unwirsche Antwort: „Hängt von seinem Aufschlag ab.“ Vielleicht wird's ja ein Spaziergang. Matti Lieske