Weder schnell geschrieben noch nachgemacht

■ betr.: „Der Körper als lästige ,Wet ware‘“ (Zwei Bücher über die Cy bermanie als neuen Kult: Gundolf S. Freyermuth bedient das techno ide Erlösungsbedürfnis unserer Tage, Mark Dery untersucht die neue Allianz von Schamanentum, Neofuturismus und Ultrakapitalis mus), taz vom 9./10.11. 96

[...] Zwischen fröhlichem (oder, wie in Werbers Fall, verbiestertem) Meinungsstreit über Bücher und ihre Inhalte und der Verleumdung der Menschen, die sie geschrieben haben, liegt eine klare Trennungslinie. Werber hat sie, neben Unrichtigkeiten in Details, in seiner „Kritik“ zweimal grundsätzlich überschritten, indem er mir – scheinbar allwissend über meine Motive und Schreibgewohnheiten informiert und mich im Gegensatz zu Mark Dery vertraulich duzend – Handlungs- und Vorgehensweisen unterstellt, die nicht den Tatsachen entsprechen und frei erfunden sind.

1. Er behauptet, ich hätte „dem renommierten Verlag Rowohlt Berlin eine schnell geschriebene ,Führung durch den High-Tech- Underground‘ verkauft“. Diese Behauptung, die mich zu den Autoren rechnet, die „schnell etwas zusammenschreiben, das dann vom nächstbesten Verlag umgehend von der Diskette in den Computersatz gegeben wird, so daß nach wenigen Tagen das neueste Paperback zum Thema auf den Ladentischen landet“, ist unwahr und widerspricht den Tatsachen – wie Werber schon durch einen einfachen Blick in die Quellen- und Literaturnachweise des Buches hätte feststellen können.

Ich habe mit der Arbeit an dem Buch Anfang 1993 begonnen; ein erster Artikel, der vollständig in das Buch (und sein Literaturverzeichnis) übernommen wurde, erschien im August 1993. Die Verhandlungen mit Rowohlt über das Buch datieren vom August 1994. Die Interviews zum zweiten Kapitel fanden im Dezember 1993 statt, die Interviews zum dritten im Frühjahr 1993, die Interviews zum vierten Kapitel im Frühjahr 1994, die Interviews zum fünften Kapitel größtenteils in der zweiten Hälfte 1995. Die ersten vier Kapitel wurden Mitte Dezember 1995, das letzte Kapitel Anfang Februar 1996 an den Verlag geliefert.

Drei Jahre kontinuierliche Arbeit an einem aktuellen Reportagebuch, das ist nach allen Begriffen dieses Genres nicht schnell, sondern äußerst langsam geschrieben – zum Leidwesen meines Verlags, den ich immer wieder vertrösten mußte. [...]

2. „Nun ist all der ganze Spaß nicht einmal gut ausgedacht, sondern schlecht nachgemacht.“ Und zwar angeblich Mark Derys Buch. Im Schlußsatz der „Kritik“ wird „Cyberland“ dann noch einmal als „Klon“ von Derys Buch bezeichnet.

Derys Buch erschien allerdings im März diesen Jahres; meins schon wenige Monate später, Ende Juni. Da mußte ich in der Tat sehr schnell geschrieben haben; am Ende schneller als die Zeit. Denn nicht nur waren im März Vorabdrucke ganzer Buchkapitel von „Cyberland“ seit Monaten, teilweise Jahren erschienen – in Tempo (1993, 1994), Spiegel (1995) und „Kursbuch“ (1995) –, auch mein komplettes Buchmanuskript war bereits seit Wochen beim Verlag und längst gesetzt. Ich konnte Derys Buch also schon deshalb nicht „nachmachen“ oder „klonen“, da „Escape Velocity“ schlicht noch nicht erschienen war, als ich meine dreijährige Arbeit beendete – mal abgesehen davon, daß mir angesichts von Derys inhaltlichen Positionen nichts ferner läge. [...] Gundolf S. Freyermuth,

Snowflake, USA

Anm. d. Autors: Da Freyermuth mich der Verleumdung und der Lüge bezichtigt, möchte ich kurz reagieren:

In meinem Artikel über Freyermuth und Dery habe ich behauptet, Freyermuths Buch sei „schnell geschrieben“, und ich habe suggeriert, es verhalte sich zu Derys Publikation wie ein „Klon“. Ich muß mich korrigieren, beides ist falsch.

Wie man aus Freyermuths Leserbrief entnehmen kann, ist sein Buch keineswegs „schnell geschrieben“, sondern im Gegenteil, aus bis zu drei Jahre alten Artikeln für Tempo, Spiegel und „Kursbuch“ zusammengesampelt worden. Für sein durchaus unoriginelles Werk hat er also auch noch „drei Jahre kontinuierlich“ recherchiert. Wer die Halbwertzeit von Publikationen über den „Cyberspace“ kennt, weiß, was das bedeutet. „Cyberland“ ist auch kein Klon, denn dann wäre es ja Derys gutem Buch zum Verwechseln ähnlich, was aber keineswegs der Fall ist, denn Freyermuths Buch ist sehr viel schlechter.

Nichts anderes wollte ich sagen, als daß „Cyberland“ aller Originalität zu entbehren scheint. In Freyermuths Leserbrief steht es nicht anders. Niels Werber