■ Kroatien: Proteste gegen die Schließung von Radio101
: Konflikt um die Macht nach Tudjman

Da haben sich die Initiatoren der Strafaktion gegen das einzig unabhängige Radio101 in Zagreb wohl verrechnet. Ihre Entscheidung, dem Sender die Frequenz zu entziehen, hat zu einer starken Protestwelle im ganzen Land geführt. Der Konflikt um das Radio ist dafür jedoch nur der Auslöser, die Ursachen der Proteste liegen tiefer. Viele Menschen in Kroatien haben einfach die Schnauze voll von staatlicher Bevormundung durch die Herren der Regierungspartei, von Korruption und vom Machtgehabe des Präsidenten – kurz, von einer Politik, die nach und nach die kroatische Demokratie ausgehöhlt hat.

Offenbar behielten diejenigen recht, die schon vor Jahren behauptet haben, daß der Krieg lediglich die Herrschaft der Regierungspartei HDZ festige, daß in der Nachkriegszeit jedoch die Chance für eine echte Demokratisierung in Kroatien bestünde. Angesichts der Krebserkrankung des 74jährigen Präsidenten Franjo Tudjman und der Diadochen-Kämpfe im Hintergrund erscheint jetzt der Spielraum für die Opposition tatsächlich erweitert. Zwar versucht der rechte Flügel der Regierungspartei, sich auf eine Machtübernahme am Tag X, dem Ausscheiden Tudjmans aus der Politik, vorzubereiten. Dabei ist die Gängelung der Medien nur eine Spielart. Andererseits ist allen politischen Kräften in Kroatien bewußt, daß die jetzige Regierungspartei HDZ ohne Tudjman kaum noch Chancen hat, bei Wahlen Mehrheiten zu gewinnen.

So könnte sich der Konflikt um Radio101 zu einer ernsthaften Auseinandersetzung um die Zukunft Kroatiens ausweiten. Wenn der rechte Flügel der HDZ weiter versuchen sollte, mit diktatorischen Mitteln die Macht für die Zeit nach Tudjman zu sichern, wird er Kroatien in die größte innenpolitische Krise seit der Unabhängigkeit 1991 stürzen. Die Chancen der Opposition steigen jedoch, da die HDZ gespalten ist und selbst aus der Armee Widerstand gegen eine solche Politik des rechten HDZ-Flügels angemeldet wird. Tudjman selbst hat die Schwäche seiner Partei erkannt: Noch vor seiner Abreise ins Krankenhaus deutete er mit einer Anti-Korruptions-Kampagne und Umbesetzungen in der Armeespitze an, daß ihm die Aussicht, seine rechten Gefolgsleute könnten die gesamte Macht übernehmen, selbst nicht geheuer ist. Erich Rathfelder