„Elftes Gebot: Rühre das Radio nicht an“

Tausende Kroaten fordern den Erhalt von „Radio 101“. Der Lizenzentzug für das einzige unabhängige Privatradio wird zum Politikum. Nicht nur die Pressefreiheit steht auf dem Spiel  ■ Aus Split Erich Rathfelder

Tausende von Radiohörern protestierten gestern abend in der kroatischen Hauptstadt Zagreb gegen die angekündigte Schließung ihres Lieblingssenders, Radio 101. Der einzigen unabhängigen Radiostation in Kroatien ist zum 30. November auf Beschluß des staatlichen Medienrates die Lizenz entzogen worden. Die Auseinandersetzung um Radio 101 ist zu einem innenpolitischen Ereignis ersten Ranges geworden.

Der Lizenzentzug wird von oppositionellen Kräften als gezielte Einschränkung der Pressefreiheit empfunden. „Wir haben einen kritischen Punkt erreicht, bei dem alle Demokraten rufen müssen: Es reicht“, erklärte der Vorsitzende der Sozialdemokraten Cdravko Tomac.

Die Entscheidung des Medienrates wurde offiziell mit finanziellen Engpässen des privaten Senders begründet. Den Zuschlag für die Frequenz soll jetzt Radio Globus 101 erhalten, dessen Besitzer der Regierungspartei HDZ nahesteht. Dabei ist der unabhängige Sender Radio 101 der beliebteste Sender in der Region Zagreb und verfügt über eine Einschaltquote von 34 Prozent, was ihn zu einem erfolgreichen Werbeträger macht. Chefredakteurin Zrinka Vrabec- Majzec sieht deshalb vor allem politische Gründe hinter der Entscheidung des Medienrates. Der Sender sei nämlich spritzig und frech und habe oftmals die Propaganda der regierungsnahen Sender aufs Korn genommen.

Zuletzt hatte der Sender das Schweigen über den Gesundheitszustand des kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman durchbrochen. Der nach offizieller Lesart zu einer „Routineuntersuchung“ in ein Washingtoner Krankenhaus eingelieferte 74jährige Präsident sei schwer herzkrank, meldete der Sender Anfang der Woche. Und löste damit Spekulationen über einen Machtkampf in der kroatischen Regierungspartei HDZ aus.

Die Nachrichtensperre über den Gesundheitszustand Tudjmans und der Angriff auf Radio 101 haben eine beispiellose Solidarisierung mit dem Sender ausgelöst. Schon am Mittwoch abend war es zu einer spontanen Demonstration von 6.000 Menschen in Zagreb gekommen. Hauptparole: „Das 11. Gebot: Rührt das Radio nicht an.“ Taxifahrer fuhren hupend durch die Stadt, viele junge Leute tragen T-Shirts mit der aufschrift: „Wir haben nicht mehr Dinamo, wir haben nicht mehr einen Bürgermeister, wir haben nicht mehr Radio 101.“ Damit wird an die Umbenennung des populären Fußballvereins Dinamo in Croatia Zagreb erinnert, die von den Fans nie hingenommen wurde, sowie an die Einsetzung einer regimetreuen Bürgermeisterin, obwohl die Opposition im Zagreber Stadtparlament über die absolute Mehrheit verfügt. Radio 101 sendete gestern in Anspielung auf diese Parolen wiederholt das Vereinslied des FC Dinamo und hatte damit die Lacher auf seiner Seite. Offiziere der 102. Brigade gaben ihre Kriegsauszeichnungen aus Protest gegen die Regierungspolitik zurück. In der Protestwelle manifestiert sich auch Widerstand gegen das Pressegesetz, das die Verunglimpfung des Staatspräsidenten unter Strafe stellt. Einen Prozeß mit dieser Anklage gegen das populäre und unabhängige Satiremagazin Feral Tribune hatte die Staatsanwaltschaft im Oktober allerdings verloren. Beobachter behaupten jedoch, dies sei von Tudjman gewollt gewesen, um den Weg freizumachen für die Aufnahme Kroatiens in den Europarat, der am 6. November erfolgte.

Mit der Aufnahme in den Europarat hat Kroatien jedoch ein Dokument unterzeichnet, in dem es sich verpflichtet, die Pressefreiheit zu respektieren. Daran erinnerte gestern der US-Botschafter in Kroatien, Peter Galbraith, der zudem seine Besorgnis über die geplante Schließung des Senders just in Radio 101 äußerte. „Wenn ein unabhängiges Medium in einer jungen Demokratie zum Schweigen verurteilt wird, beunruhigt dies die Vereinigten Staaten.“