Bonn will das Aussteigerprogramm für Terroristen beenden

■ Die Initiative der Kölner Verfassungsschützer zeigt erste Erfolge. Jetzt soll sie abgewickelt werden

Die neue Initiative kam als „Angebot des Jahres“ auf die Welt. Mit dieser Schlagzeile erschien im November 1987 ein Interview in der Frankfurter Zeitschrift Pflasterstrand, in dem das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) erstmals den Rahmen für das absteckte, was seither als Aussteigerprogramm bekannt ist.

Auf die Frage, was denn die Kölner Schlapphüte konkret für austeigewillige Mitglieder der RAF oder revolutionären Zellen tun könnten, hieß es: „Wir können zum Beispiel über Dritte Kontakt zu einzelnen Aussteigern knüpfen, um die Möglichkeiten eines Ausstiegs auszuloten.“ Möglichg sei, „daß das BfV für den Betroffenen Sondierungen bei den Strafverfolgungsbehörden vornimmt, zum Beispiel ihm die Möglichkeit verschafft, seine Stellungnahme zu Tatvorwürfen abzugeben“.

Auf der einen Seite wurde zwar betont, daß der Verfassungsschutz keineswegs gegen die Interessen der Strafverfolger arbeite. Doch andererseits hieß das Angebot: „Der Verfassungsschutz ist nicht an das Legalitätsprinzip gebunden; das heißt, er ist nicht in jedem Fall verpflichtet, Täter der Strafverfolgung zuzuführen.“ Eine Person steht für das Aussteigerprogramm. Der Mann trägt den Decknamen „Hans Benz“, er ist 47 Jahre alt und Regierungsoberamtsrat in der Kölner Geheimdienstbehörde. Eher erfolglos jettete der Verfassungsschützer in den ersten Jahren des Programms durch alle Welt, stets auf der Suche nach aussteigewilligen Terroristen. Er suchte Freunde und Familienmitglieder gesuchter Militanter auf. Meistens war er dabei so wenig erfolgreich wie bei seinen Bemühungen, in Kontakt mit inhaftierten früheren RAF-Mitgliedern zu treten. Dennoch erwarb sich Benz nach und nach den Ruf, seriös zu agieren, Absprachen einzuhalten. Er traf sich beispielsweise mit dem wegen Mordverdachts gesuchten Hans- Joachim Klein.

Der heute 48jährige lebt seit rund 20 Jahren außerhalb der Bundesrepublik. Klein wird wegen eines Überfalls auf die Wiener Opec-Konferenz im Jahr 1975 gesucht, bei dem drei Menschen erschossen wurden. Benz recherchierte, was Klein bei einer eventuellen Rückkehr nach Deutschland zu erwarten hätte. Die Auskunft war „lebenslang“, woraufhin Klein im Ausland blieb. Benz verschwieg den Treff, erzählte auch nicht, ob und wie Klein sein Äußeres verändert hat.

Den bislang größten Erfolg konnte Benz mit der Rückkehr von Magdalena Kopp aus dem venezolanischen Exil in ihre Heimatstadt Ulm verbuchen. Kopp legte, nachdem alle Verfahren gegen sie eingestellt worden waren, vor den Berliner Staatsanwälten ihre Lebensbeichte ab. Sie plauderte über ihren Gatten, den international gesuchten Terroristen „Carlos“, und über ihren Exfreund, das deutsche RZ-Mitglied Johannes Weinrich, der derzeit in Berlin wegen eines Sprengstoffanschlags vor Gericht steht. Zwingend war die Beichte nicht.

Der Fall Seidler ist ein klassisches Beispiel, wie das Kölner Aussteigerprogramm funktionieren kann. Der Verfassungsschutz klärt die Anschuldigungen ab. Es zeichnet sich ab, daß die Vorwürfe der Bundesanwaltschaft nicht zu halten sind, der Mann kann zurückkommen. Doch es scheint, daß diese Erfolgsstory in Bonn gar nicht so gewollt wird. Im Kanzleramt wird debattiert, das Kölner Programm zu beenden. Erörtert wird die Frage, ob es heute – angesichts des Wegfalls einer terroristischen Bedrohung durch die RAF – noch sinnvoll sei, den einstigen Militanten weiterhin Angebote zur Strafmilderung zu machen. Nur: Um Strafmilderung ist bei dem Programm nie gegangen. Wolfgang Gast