Die Fundamente der Kammern bröseln an mehreren Stellen

■ Wirtschaftsminister der Länder beschäftigen sich erstmals mit der Kritik an den Industrie- und Handelskammern

Köln (taz) – Der wachsende Widerstand gegen die Industrie- und Handelskammern (IHK) beschäftigte gestern die Wirtschaftsminister der Länder. Zwar bescheinigten sie den Kammern, „verläßliche Berater des Staates“ zu sein. Doch zugleich forderten sie die IHK auf, „ihren Beitrag zur Verminderung der finanziellen Belastung der Wirtschaft zu leisten.“

Republikweit gibt es inzwischen 45 Initiativen von IHK-Verweigerern, deren Ziel die Abschaffung der Zwangsmitgliedschaft aller Gewerbetreibenden ist. Zwar hat der Deutsche Industrie und Handelstag (DIHT) inzwischen beschlossen, Kleinstgewerbe mit Jahresumsätzen bis zu 32.500 Mark und Gewinnen bis 3.000 Markf von der Beitragspflicht freizustellen. Doch zu den Verweigerern gehören mittlerweile auch Mittelständler und ganze Berufsverbände. So sprachen sich kürzlich 97 Prozent der Reiseunternehmen gegen die Zwangsmitgliedschaft aus. Gestern erlitten die IHK-Gegner allerdings erneut eine juristische Schlappe: Das Bundesverwaltungsgericht weigerte sich, die EU- Konformität der Zwangsmitgliedschaft überhaupt zu überprüfen.

Die Bündnisgrünen haben in diesem Monat einen Gesetzentwurf vorgelegt, der auf die Abschaffung der Zwangsmitgliedschaft abzielt. Die Kammern sollen nicht mehr Körperschaften des öffentlichen Rechts sein, sondern anerkannte Vereine des Privatrechts. Sie sollen Gebühren erheben können und für hoheitliche Aufgaben staatliche Zuschüsse erhalten, so der Vorschlag. Die SPD will das Kammergesetz ebenfalls ändern: Der Freibetrag soll auf 50.000 Mark erhöht, der Durchschnittsbeitrag gesenkt und die Zahl der Kammerbezirke reduziert werden.

Durch das erst vor ein paar Jahren novellierte Kammergesetz sind etwa eine Million Gewerbetreibende, die nicht im Handelsregister eingetragen sind, neu zur Zwangsmitgliedschaft verdonnert worden. Sie müssen nun 100 bis 500 Mark Grundbeitrag und eine Umlage auf Gewinn und Ertrag zahlen. Da kommen schnell einige tausend Mark zusammen. Für die Großunternehmen sanken dagegen die Umlagen.

Dabei vertreten die IHK seit Preußens Zeiten vor allem die Interessen der Großunternehmen vor Ort. Wenn die IHK in den Kommunen für Flughäfen, Autobahnen und Müllverbrennungsanlagen kämpfen, regt sich neuerdings Widerstand bei Kammermitgliedern, die von solchen Großprojekten nichts halten. Die Kammern, die im „Gesamtinteresse der Wirtschaft“ sprechen, behindern Existenzgründungen und neue Ausbildungsplätze in jungen Branchen. So kritisiert Klaus Laepple, Präsident des Verbandes der Reiseunternehmen, den Widerstand der Kammern bei der Anerkennung neuer Berufsbilder: „Wir könnten sofort 5.000 neue Ausbildungsplätze stellen.“

Neben den Beiträgen zahlen die Mitglieder für jede Dienstleistung extra: Eintragung eines Auszubildenden 100 bis 450 Mark, berufliche Abschlußprüfung 100 bis 600 Mark, Eintragung als Sachverständiger 400 bis 1.000 Mark. Mit diesem Geld haben die IHK eine umfangreiche Bürokratie aufgebaut. Die 83 Kammern, 12 Landesvereinigungen und der Dachverband DIHT haben 7.500 Beschäftigte. Bei den Außenhandelskammern und Repräsentanzen in 75 Ländern kommen 1.200 Mitarbeiter hinzu. Für viele Unternehmen hat dieser Apparat wenig Nutzen. Niedersachsens Wirtschaftsminister Peter Fischer fordert die Verschlankung der IHK: „Bei einem bundesweiten Aufkommen von über 1,5 Milliarden Mark sind die IHK auch ein Kostenfaktor.“

Die IHK sind Körperschaften des öffentlichen Rechts und nehmen hoheitliche Aufgaben wahr. Deshalb erhalten sie von den Finanzämtern die internen Unternehmensdaten über Ertrag und Gewinn, um die Kammerbeiträge zu berechnen. Neben den klassischen Aufgaben in der Berufsausbildung und beim Außenhandel haben sie sich staatliche Aufgaben im Gutachterwesen an Land gezogen. Gleichzeitig handeln sie als „Selbstverwaltung der Wirtschaft“ und werden – einzige Ausnahme unter den öffentlich-rechtlichen Körperschaften – nicht von den Rechnungshöfen geprüft.

Der demokratische Standard ist dürftig: Die Vollversammlung der IHK tagt nicht öffentlich, der Haushalt ist geheim. Für die Wahlen zur Vollversammlung hat jedes Kammermitglied zwar eine Stimme – aber die Zahl der Vertreter je Branche wird nach „wirtschaftlichem Gewicht“ bestimmt. Werner Rügemer