Seidler erschien pünktlich beim RAF-Ermittler

■ Angeblicher Herrhausen-Attentäter stellte sich gestern wie versprochen den Strafverfolgern in Karlsruhe: Christoph Seidler weist alle Vorwürfe strikt zurück

Berlin (taz) – Christoph Seidler hat Wort gehalten: Sechs Jahre, elf Monate und acht Tage nach dem Mord an dem Vorsitzenden der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, stellte sich der 38jährige gestern früh wie angekündigt in Karlsruhe den Ermittlungsbehörden. Pünktlich um 9 Uhr meldete er sich in Begleitung seines Anwaltes an der Pforte des Bundesgerichtshofes.

Von der Bundesanwaltschaft wird Seidler verdächtigt, an dem Attentat auf den prominenten Bankier beteiligt gewesen zu sein. Herrhausen wurde mit einer am Straßenrand installierten Sprengfalle getötet, sein Fahrer schwer verletzt. Die Rote Armee Fraktion (RAF) bekannte sich wenig später zu dem Sprengstoffanschlag. Seidler aber bestreitet, jemals Mitglied der RAF gewesen zu sein. Zur Tatzeit will er sich im Libanon aufgehalten haben.

Seidler, der nach seinen eigenen Aussagen 1984 aus dem Symphatisantenumfeld der RAF in die Illegalität abtauchte und anschließend von 1988 bis 1992 im Libanon bei der palästinensischen Gruppe PFLP unterkam, wurde gestern vormittag dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs vorgeführt und anschließend von diesem vernommen. Die Sprecherin der Bundesanwaltschaft, Eva Schübel, erklärte am Nachmittag, daß die Vernehmung Seidlers noch andauere. Gestern noch sollte entschieden werden, ob Seidler in Untersuchungshaft genommen oder seinem Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls entsprochen wird. Bei Redaktionsschluß lag die Entscheidung noch nicht vor.

Vor zwei Wochen hat Seidler in Interviews mit der taz und dem Spiegel jede Beteiligung an der Ermordung Herrhausens am 30. November 1987 in Bad Homburg bestritten. Der Haftbefehl gegen ihn stützt sich auf die Aussagen eines einzigen Zeugen.

Es handelt sich dabei um den früheren V-Mann des hessischen Verfassungsschutzes Siegfried Nonne. Zunächst hatte Nonne, der sich in psychiatrischer Behandlung befindet, behauptet, zusammen mit Seidler und der ebenfalls als RAF-Mitglied gesuchten Andrea Klumpp das Attentat vorbereitet zu haben. Später widerrief er diese Aussage, um dann im März dieses Jahres wiederum seinen Widerruf zu widerrufen.

Seidler, der im vorigen Jahr in Paris erstmals nach seinem Abtauchen Kontakt mit seiner Familie aufnahm, kam über seine Eltern vor etwa zehn Monaten zum sogenannten „Aussteigerprogramm für Terroristen“ des Kölner Verfassungsschutzes. Dessen Mitarbeiter „Hans Benz“ überprüfte anschließend – auch im Libanon – die Angaben von Seidler. In einer Stellungnahme für die Bundesanwaltschaft zeigte sich Benz überzeugt, daß Seidlers Angaben der Wahrheit entsprechen.

Wolfgang Gast