Des Kanzlers Kotau

■ Ein Freitagsgebet für Helmut Kohl

Wenn es je eines Beweises bedurfte, daß Helmut Kohl kein Aussitzer ist, er ist erbracht. Binnen Tagesfristen reagierte der Bundeskanzler auf die Forderung des Iran, eine „Klarstellung und Wiedergutmachung“ für die Beleidigung ihres religiösen Führers Chamenei zu leisten. Zwar hat er in seinem Brief an Rafsandschani nichts klargestellt, aber die gelungene Wiedergutmachung läßt sich an den wohlwollenden Reaktionen aus Teheran ablesen.

Wenn es je eines Beweises bedurfte, daß sich Kohl dem Druck der Straße beugt, er ist erbracht. Tausende fanatische Mullahs und Studenten in der heiligen Stadt Qom drohen den Anklägern im „Mykonos“-Prozeß mit der Fatwa, prompt versichert der Bundeskanzler, es liege der Bundesregierung und der deutschen Justiz völlig fern, die religiösen Gefühle des iranischen Volkes und seiner geistlichen Führung zu verletzen. Was veranlaßt Kohl, eine Spontaneität an den Tag zu legen, die man sonst bei ihm so schmerzhaft vermißt? Was drängt ihn, Demonstranten nachzugeben, die er doch sonst für eine Fehlentwicklung des Homo politicus hält?

Als Schadenbegrenzung wird er ausgeben, was in dem Klartext, den er vermeidet, ein Kotau ist. Die iranische Regierung nutzt die inszenierten Massenproteste zur Folie ihrer mal unverfrorenen, mal verständnisheischenden Einmischung. Und die deutsche Regierung findet kein Wort der Zurückweisung, der Parteinahme für die bedrohten Staatsanwälte. Deren Plädoyer ist klar formuliert. Wenn der Vorwurf der Täterschaft gegen Chamenei im Iran taktisch als eine Verletzung religiöser Gefühle interpretiert wird, so darf die Bundesregierung dieser Taktik nicht folgen, sondern muß auf die Berechtigung und Rechtsstaatlichkeit der Ermittlungen gegen diese Person verweisen. Kohls volkshochschullehrerhaftes Betonen der Unabhängigkeit der Justiz liest sich wie eine Distanzierung von deren Tun, liest sich wie die trügerische Hoffnung, mit dem Staat Iran weiterhin gute Beziehungen hegen zu können, ohne sich mit dessen Terrorismus zu konfrontieren. Der Schaden, den Kohl meint begrenzen zu können, wird spätestens eintreten, wenn sein Briefpartner vom Gericht als Staatsterrorist benannt wird. Es wird ein Totalschaden sein, für den die Bundesregierung noch keine Regulierung gefunden hat. Dieter Rulff