Anleitung zur Kraßrasur

■ Droste und Henschel lasen aus dem „Babier von Bebra“

Im Publikum sind eher keine Vollbärte zu sehen. Aber damit dürften Wiglaf Droste und Gerhard Henschel auch nicht gerechnet haben, als sie zur Freitagnacht-Lesung aus dem Babier von Bebra ins Schauspielhaus luden. Es geht überhaupt recht familiär zu im großen Saal. Aber bei diesem Regen jagt man ja auch keinen Hund vor die Tür. Nicht mal einen Riesenschnauzer.

Dabei hätten die Autoren viel mehr Hörer verdient als die geschätzten 150. Nicht nur, weil der umstrittene Schund- und Schand-roman über die Entleibung ostdeutscher Bürgerrechtler und verwandte Greuel ein reichlich komisches Stück ist, geschult an den besten schlechten Manieren des Surrealismus. Sondern wegen der Vortragskunst Gerhard Henschels.

Denn während Droste sich bisweilen etwas zu sehr auf seine wohlgeformte Stimme verläßt und das wüste Traktat mehr singt als liest, läßt Henschel keinen schlechten Witz aus, sächselt, daß es der Sau graust, knarrt, knurrt und gurrt. So eifrig wirft er sich in die Sätze, daß er rot anläuft. Ähnlich offene Freude am eigenen Text trauen sich wenige, schon gar nicht, wenn ihr Text so forciert trivial ist wie dieser. Und erst recht nicht, wenn sie genug Talent haben, um sich eigentlich jede Blasiertheit leisten zu können, wie Henschel.

Daß Wiglaf Droste die bizarren Mordphantasien und sein Partner die Zwischenstücke mit der dem Serienrasierer hinterherermittelnden Kommissarin Güsel liest, sorgt zwar für hörerfreundliche Abwechslung. Aber wenigstens die Exekution Rainer Eppelmanns (Zementfußbad) von Henschel statt von Droste lautgemalt zu bekommen, wäre schon schön gewesen.

Und plötzlich – im Barbier sorgt Harry Rowohlt für Aufregung – betritt Harry Rowoht leibeigen das Proszenium und rezitiert mit einem Charisma, das sich nicht lernen läßt, und einem Timbre, das er Lee Marvin himself abgeschnackt haben muß, die Sätze, die das Buch ihm in den Mund legt. Und verleiht dem Skandalwerk solche Würde, daß selbst die Verfasser nur mehr staunend zusehen.

Der Skandal ist freilich längst vorbei: Und so aufgeräumt man in die ekle Nacht zurückkehrt (nachdem die Dichter Deutschland zu Atomstaub verarbeitet haben), so heimlich enttäuscht ist man auch, daß keine Fußmattenträger am Ausgang warten und einen als Unterstützer von potentiellen IMs beschimpfen. Satire darf eben doch alles, sofern Vera Lengsfeld und Konrad Weiß grad keine Zeit haben, das Gegenteil zu behaupten.

Kay Sokolowsky