Hochspannung wie in Hollywood

■ Die Preisvergabe beim Festival „Politik im Freien Theater“ offenbarte es: Die Leistungsschau der Off-Szene war nicht zu sehen, aber dafür gab es richtigen Streit.

Den Clou hatte man sich für den Schluß aufgespart. Als am Samstag zu mitternächtlicher Stunde die Preisverleihung des Festivals Politik im freien Theater in der Shakes-peare Company anstand, lag Spannung in der Luft. Ungewöhnlich entzündliche Hochspannung. Für einige Minuten herrschte im Bremer Austragungsort eine Atmosphäre wie bei der Oscar-Verleihung in Hollywood. Daß es dazu kam, lag an der selbst gestellten Aufgabe, zusammenbringen, was partout nicht zusammen wachsen will: Politik und Theater.

Strenge Thesenhaftigkeit und die leichte Muse Thalia, sie fanden auch beim dritten Festival nach der Bremer Premiere 1988 und der zweiten Auflage 1993 in Dresden nicht wirklich zueinander. Und so vergab die von Theaterleuten besetzte Jury kluge Ratschläge statt der vorgesehenen Preise. Die Auslobung hatte man kurzerhand umgewidmet und in mit jeweils 10.000 Mark gleichrangig dotierte Inszenierungspreise verwandelt. Einen davon erhielt zum ungläugigen Staunen im Parkett das Bremer Schnürschuhtheater für die Produktion „Orlando Nuñez oder Die Firma verzeiht einen Augenblick des Wahnsinns“. Hatten die Szene-Kenner und Theaterprofis im Saal die Voten für die anderen Preisträger - Barbara Englerts „Primadonna, Schwerer Held“, die Produktion „Regenwettermann“ vom theater 89 und „Tag oder Nacht oder Jetzt“ von Theater Lindenhof - durchaus erwartet, wurde die Schnürschuh-Prämierung von vielen als unverständlich empfunden.

Kann eine Jury unter dem Vorsitz des 69jährigen Theater-heute-Gründers Henning Rischbieter irren? Sie kann, doch hier wollte der Rat der Weisen offensichtlich nicht Gerechtigkeit, sondern Provokation.

Die Debatte über die Grundfrage von Politik im Theater war geboren. Denn durch den Verzicht auf den ursprünglich vorgesehenen Hauptpreis wird deutlich, daß die Jury die Mischung, die beides vereinen sollte, nicht befriedigend und mithin nicht preiswürdig fand. Rächten sich am Ende die Richter für die Tortur der Kunstbetrachtung?

Der Jury wurde bei der Besichtigung von 18 Solo- und Ensembleproduktionen allerhand zugemutet. So viel, daß es dem Vernehmen nach beinahe zu Handgreiflichkeiten zwischen Veranstaltern und Jury-Mitgliedern gekommen sein soll. Vieles von dem, was sie sahen, behagte ihnen nicht. Die Inszenierung „Troilus und Cressida“ habe die Kriegsproblematik verharmlost, hieß es. Und: Hochhuths Umgang mit der Ostproblematik in „Wessis in Weimar“ sei demagogisch. Oder: In Zukunft sollte doch besser eine Jury von Theaterleuten die Festivalproduktionen auswählen. Im Abschlußbericht schlugen die Experten gleich die Umbenennung des Festivals vor: Statt „Politik im freien Theater“ solle es künftig „Festival des Politischen Theaters“ heißen. „Ein anmaßender Vorschlag“, konterten Vertreter der Festival-Ausrichter - die Bundeszentrale für politische Bildung und die Bremer Landeszentrale, die das Spektakel mit 900.000 und 300.000 Mark finanzierten. „Damit werden wir doch zum bloßen Geldgeber reduziert“, meinte Holger Ehmke von der Bundeszentrale und beharrte auf dem Vorschlagsrecht des Ausrichters. Auch Herbert Wulfekuhl von der Bremer Landeszentrale verteidigte die Praxis, das Vorauswahlgremium mit Theaterwissenschaftlern und Vertretern der politischen Bildung paritätisch zu besetzen. Zwar räumte er auf den Vorwurf, das künstlerische Niveau sei oft unbefriedigend gewesen, ein: „Wir haben uns oft selbst geärgert, daß sich kein Theater auftreiben ließ, das etwa die Sektenproblematik besser dargestellt hat als das eingeladene Punktum.“ Aber grundsätzliche Kurskorrekturen soll es nicht geben. Es soll weiter versucht werden, den Anspruch an Theater und zugleich den der politischen Bildung unter einen Festivalhut zu bringen. „Sonst können wir die Ausgaben auch gar nicht rechtfertigen.“

Die Jury indes beharrte nicht zuletzt mit dem Vorschlag, auch das Tanztheater zu integrieren, auf dem Standpunkt, daß Theater doch per se politisch sei und sich die Pädagogen nicht thematisch reinhängen sollten.

War das Ganze also ein Mißverständnis oder eine konzeptionelle Sackgasse? Eine Leistungsschau des Off-Theaters habe man gar nicht zeigen wollen, erklärten die politischen Pädagogen. Doch bei den Theaterfreunden hielt sich hartnäckig die Enttäuschung über das niedrige künstlerische Niveau vieler Stücke. rau